XXVI.
S. 71 Da geschah es, wie gewöhnlich bei noch nicht recht seßhaften Völkern, daß Hungersnot unter ihnen ausbrach. Daher ersuchten ihre Fürsten und Herzöge, die über sie statt der Könige herrschten, nämlich Fritigern, Alatheus und Safrak, aus Mitleid mit ihrem bedrängten Heere die römischen Heerführer Lupicinus und Maximus um Eröffnung eines Marktes. Aber wozu treibt nicht der „verruchte Hunger nach Gold“? Aus Habsucht verkauften diese Heerführer nicht nur Fleisch von Schafen und Rindern, sondern bald auch von verendeten Hunden und unreinen Tieren zu hohen Preisen, so daß sie einen Sklaven gegen einen einzigen Laib Brot, oder 10 Pfund gegen ein Stück Fleisch eintauschten. Als aber den Goten die Sklaven und die Gerätschaften ausgingen, forderte der habgierige Kaufmann bei der drückenden Not die Söhne als Zahlung. Indem die Eltern diese hergaben, sorgten sie nur für das Wohl ihrer Kleinen. Denn sie hielten es für besser, daß sie ihre Freiheit, als daß sie ihr Leben verlören, wenn nämlich einer lieber aus Barmherzigkeit verkauft wird, wo er doch Nahrung erwarten kann, als für den Hungertod aufbewahrt. In jener Zeit der Drangsal begab es sich, daß Lupicinus, der Anführer der Römer, den Gotenhäuptling Fritigern zu einem Gastmahl einlud und ihm, wie der Ausgang zeigte, nach dem Leben trachtete. Fritigern, der keine Arglist befürchtete, kam von wenigen begleitet zum Mahle. Während er aber im Feldherrnzelt speiste, hörte er das Geschrei der Seinigen, die elend ermordet wurden. In einem andern Teil des Hauses nämlich suchten Soldaten des Feldherrn auf dessen Befehl die Gefährten Fritigerns, welche man eingeschlossen hatte, zu töten, S. 72 und das laute Aufschreien der Sterbenden drang bis zu den schon argwöhnischen Ohren. Sogleich erkannte Fritigern den offenbaren Trug. Er zog sein Schwert aus der Scheide und entkam mit großer Verwegenheit und Schnelligkeit von dem Gastmahl, entriß die Seinigen dem drohenden Tod und trieb sie zur Ermordung der Römer. So hatten die kriegstüchtigen Männer die erwünschte Gelegenheit gefunden, eher im Krieg als durch Hunger umzukommen, und sogleich waffneten sie sich, um Lupicinus und Maximus zu töten. Jener Tag nahm den Goten den Hunger und den Römern die Sicherheit. Nunmehr begannen die Goten nicht mehr als Fremdlinge und Ausländer, sondern als Bürger und Herren über die Besitzer des Landes zu herrschen und den ganzen Norden des Landes bis an die Donau in ihrem Besitz zu halten. Als Kaiser Valens dies in Antiochia erfuhr, machte er rasch sein Heer kriegsfertig und zog nach Thrazien zu Felde. Hier kam es zu einer jammervollen Schlacht; darin siegten die Goten; der Kaiser floh verwundet nach einem Bauerngut bei Adrianopel. Hier wurde er, als die Goten, ohne zu wissen, daß der Kaiser in einer so geringen Hütte. sich verbarg, wie es gewöhnlich der Feind in seiner Wut tut, Feuer dran legten, mit seinem königlichen Pomp verbrannt. Dies war ganz nach Gottes Gericht, daß er von denen mit Feuer verbrannt wurde, die er, als sie um den wahren Glauben baten, zum falschen Glauben verführt hatte, und denen er das Feuer der Liebe in das Feuer der Hölle verwandelt hatte. Damals nach solchem Siegesruhm begannen die Wesegoten die beiden Thrazien und Uferdazien, wie wenn sie sich des angestammten Bodens bemächtigt hätten, zu bewohnen.
