XXXIX.
S. 100 Da, als Attila durch den obenerwähnten Anlaß sein Heer in Bestürzung geraten sah, hielt er es für angemessen, folgende Ansprache, wie ihm gerade der Augenblick die Worte bot, an dasselbe zu halten: „Wenn ihr nach den Siegen über so viele Völker, nach der Unterwerfung der Erde, hier stehet, so darf ich es wohl für töricht erachten, euch unter solchen Umständen mit Worten anzuspornen, als ob ihr nicht wüßtet, worum es sich handelt. Ein Neuling in der Heerführung, ein noch nicht erprobtes Heer könnte darnach Verlangen tragen. Ebensowenig darf ich die gewöhnlichen Phrasen aussprechen, als ihr sie zu hören braucht. An was anders wäret ihr auch gewöhnt als an den Krieg? Was kann es Süßeres geben für einen tapferen Mann, als mit eigener Hand Rache zu üben? Eine große Gabe der Natur ist es führwahr, seinen Rachedurst zu stillen. Darum also laßt uns frisch die Feinde angreifen! Mutiger ist immer, wer den Kampf selbst eröffnet. Verachtet die Vereinigung zwieträchtiger Völker! Sich mit Bundesgenossen verteidigen, ist ein Kennzeichen der Furcht. Seht nur noch vor unserem Angriff werden sie vom Schrecken gejagt, suchen Anhöhen zu gewinnen, besetzen Berggipfel und verlangen in zu später Reue nach Deckung im offenen Felde! Es ist euch bekannt, wie leicht die Waffen der Römer sind; vom Staub schon, geschweige denn von der ersten Wunde werden sie niedergedrückt, während sie noch in Reih und Glied treten, ihre Schlachtlinien bilden und die Schilde aneinanderschließen! Kämpft mit eurer gewohnten Ausdauer, kümmert euch nicht um ihre Heeresmacht, dringet ein auf die Alanen, stürzt auch auf die Wesegoten! Dort können wir einen S. 101 raschen Sieg holen, wo der Kern der Feindesmacht ist. Wenn aber einmal die Sehnen abgehauen sind, sinken die Glieder kraftlos zurück; der Körper, aus dem man das Knochengerüst gezogen hat, kann nicht mehr stehen. Da mag sich euer Mut hervortun, eure gewohnte Wut zum Ausbruch kommen! Nun bietet euren Verstand, Hunnen, nun eure Waffen auf! Wer verwundet wird, vergelte mit Tod eines Feindes, wer noch heil, sättige sich in ihrem Blut! Die Sieger wird kein Geschoß treffen; wer zum Tod bestimmt ist, den erreicht das Geschick auch in Friedenszeit. Warum sollte das Glück den Hunnen Sieg auf Sieg über so viele Völker verliehen haben, wenn es sie nicht auf die Freude dieses Kampfes hätte vorbereiten wollen! Wer hat denn unsern Vorfahren den Weg von der Mäotis her eröffnet, der so viele Jahrhunderte ein unentsiegeltes Geheimnis war? Wer brachte vor euch, als ihr noch nicht bewaffnet waret, Bewaffnete zum Weichen? Den Blick der Hunnen konnte auch eine vereinigte Völkermasse nicht ertragen. Ich täusche mich nicht über den Erfolg. Das ist das Feld, das uns so viele Siege verheißen haben. Ich selbst werde zuerst mein Geschoß in die Feinde schleudern. Wenn einer Ruhe ertragen kann, während Attila kämpft, ist er tot“. Hierdurch begeistert, stürzten sie alle in den Kampf.
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