XLVIII.
S. 120 Da ich, so lange beide Völker, Ostrogoten und Wesegoten vereinigt waren, so gut ich konnte, die Berichte der Väter entrollt und über die von den Ostrogoten getrennten Wesegoten eingehend genug erzählt habe, so müssen wir nun zu ihren alten scythischen Wohnsitzen zurückkehren und der Ostrogoten Geschlechtstafel und Taten auf gleiche Weise vorführen. Von ihnen steht fest, daß sie nach dem Tod ihres Königs Hermanarich und ihrer Scheidung von den Wesegoten in Abhängigkeit von den Hunnen in demselben Lande blieben; jedoch behielt der Amaler Winithar die Abzeichen seines Fürstenrangs. Er nahm sich an seines Großvaters Wultwulf Tapferkeit ein Vorbild und versuchte, wenn auch weniger glücklich als Hermanarich, da er sich darüber grämte, der Hunnen Herrschaft unterworfen zu sein, sich derselben allmählich zu entziehen, und rückte, um seine Tapferkeit zu zeigen, in das Land der Anten ein. Beim Angriff auf dieselben jedoch unterlag er im ersten Kampf. Nun aber handelte er als mutiger Mann; ihren König mit Namen Boz, dessen Söhne und siebzig Vornehme ließ er zum abschreckenden Beispiel ans Kreuz schlagen, damit die dahängenden Leichen die Furcht bei den Unterworfenen verdoppelten. Da er nun in solcher Unabhängigkeit kaum eines Jahres Länge geherrscht hatte, duldete es Balamber, der Hunnenkönig nicht mehr, sondern verband sich mit Gesimund, Hunimunds des Großen Sohn, der eingedenk seines Eides und seiner Treue mit einem großen Teil der Goten noch unter der Herrschaft der Hunnen stand, erneuerte das Bündnis mit ihm und zog mit Heeresmacht gegen Winithar. In dem langen Streit siegte Winithar S. 121 beim ersten und beim zweiten Gang, und niemand vermag zu sagen, wie große Verluste Winithar den Hunnen beibrachte. In der dritten Schlacht aber, da beide gegen ihn gezogen waren, schlich sich Balamber an den Fluß Erak heran und verwundete und tötete den Winithar durch einen Pfeilschuß in den Kopf. Darnach nahm er dessen Nichte Wadamerka zur Gemahlin und beherrschte nunmehr das ganze Gotenvolk, das im Frieden und in Untertänigkeit lebte, jedoch so, daß sie immer unter einem eigenen Oberhaupt, wenn auch nach der Wahl der Hunnen standen. Nachdem Winithar seinen Tod gefunden, regierte Hunimund über sie, ein Sohn des einst allgewaltigen Königs Hermanarich, tapfer im Streit und von blühender Schöne am ganzen Körper; später focht er glücklich gegen die Suawen. Nach seinem Tode folgte ihm sein Sohn Thorismund, blühend in Jugendkraft; er zog im zweiten Regierungsjahr gegen die Gepiden und soll nach einem großen Sieg über sie an einem Fall vom Pferde gestorben sein. Nach seinem Tod betrauerten ihn die Goten so, daß vierzig Jahre lang kein andrer König an seine Stelle trat, auf daß sein Andenken in ihrem Munde fortlebte, bis die Zeit käme, da Walamir zum Mann heranwuchs, der ein Sohn seines Geschwisterkindes Wandalar war. Ein Sohn von ihm nämlich, Beremud, war, wie wir schon oben erzählten, aus Verachtung gegen die Ostrogoten wegen der Herrschaft der Hunnen, den Wesegoten ins Abendland gefolgt. Von diesem stammte auch Witerich. Dieser Witerich hatte einen Sohn Eutharich, der verbunden mit Amalaswintha, der Tochter Theodorichs, so den schon getrennten Stamm der Amaler wieder vereinigte und den Athalarich und die Matheswintha zeugte. Weil aber Athalarich in jungen Jahren starb, S. 122 wurde Matheswintha nach Konstantinopel gebracht und gebar ihrem zweiten Mann, dem Germanus, einem Geschwisterkind des Kaisers Justinian, einen nachgeborenen Sohn, den sie Germanus nannte.
Wir aber wollen, um mit der begonnenen Erzählung zu Ende zu kommen, zu Wandalars Nachkommenschaft, die in drei Sprossen ergrünte, zurückkehren. Dieser Wandalar nämlich, der Urgroßneffe Hermanarichs und Vater des obengenannten Thorismund, rühmte sich dreier Kinder im Stamm der Amaler, nämlich des Walamir, Thiudimir und Widimir. Von ihnen bestieg nach der Erbfolge Walamir den Thron, während die Goten noch mit andern Völkern den Hunnen untertänig waren. Damals war es erfreulich, das Tun dieser drei Brüder zu betrachten, da der bewundernswerte Thiudimir für das Reich seines Bruders Walamir den Krieg führte, Walamir aber für den andern mit Ausrüstung sorgte, Widimir sich bestrebte, seinen Brüdern behilflich zu sein. Da sie sich so in gegenseitiger Zuneigung förderten, hatte jeder seinen Anteil am Reich, das sie beide in Frieden hielten. Sie regierten aber, wie schon oft gesagt, so, daß sie auch Attila, dem Hunnenkönig untergeben waren. Sie hätten sich nicht einmal weigern dürfen, gegen ihre Verwandten, die Wesegoten, zu kämpfen; der zwingende Befehl des Herrn muß, auch wenn er Vatermord heischt, erfüllt werden. Und auf keine andere Weise hätte irgendein scythischer Stamm von der Herrschaft der Hunnen losgerissen werden können, als durch das allen Völkern insgemein und besonders den Römern erwünschte Ereignis des Todes Attilas, der ebenso schmählich war, als sein Leben bewundernswürdig.
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