XXX.
S. 78 Als nun das Heer der Wesegoten in die Nähe der Stadt gekommen war, schickte es zum Kaiser Honorius, der drin seine Residenz hatte, eine Gesandtschaft. Durch diese ließen sie anfragen, ob er gestatte, daß die Goten sich friedlich in Italien niederließen. In diesem Fall wollten sie in solcher Eintracht mit den Römern leben, daß man sie für ein Volk halten könne. Andernfalls solle der Stärkere den Schwächern vertreiben und der Sieger in Ruhe die Herrschaft besitzen. Da bekam der Kaiser Honorius bei beiden Vorschlägen große Angst und berief den Senat zu einer Beratung, wie man sie vom italischen Boden vertreiben könne. Zuletzt drang die Ansicht durch, daß Alarich mit seinem Volk die weitentlegenen Provinzen Gallien und Spanien als sein Eigentum besetzen solle, wenn er dazu imstande wäre, und diese Schenkung wurde durch eine kaiserliche Verordnung bestätigt. Denn jene Provinzen hatte man auch so verloren, da der Wandalenkönig Gizerich in dieselben verwüstende Einfälle machte. Dieser Abmachung stimmten die Goten bei und zogen in das ihnen übergebene Land. Nach ihrem Abzug lauerte ihnen, obgleich sie in Italien nichts Schlimmes getan, Stiliko, der Patrizius und zugleich Schwiegervater des Kaisers Honorius war - der Kaiser hatte nämlich beide Töchter desselben, Maria und Thermantia, eine nach der andern geheiratet; aber beide hatte Gott unberührt und als Jungfrauen zu sich gerufen - dieser Stiliko also lauerte bei der Stadt Pollentia in den Kottischen Alpen heimtükkisch auf die Goten und überfiel sie, die sich nichts Arges versahen, zum Verderben von Italien und zu seiner eigenen Schande. Da die Goten ihn plötzlich erblickten, S. 79 erschraken sie zuerst, bald aber faßten sie wieder Mut und feuerten einander an, wie es ihre Gewohnheit war, warfen fast das ganze Heer des Stiliko in die Flucht und schlugen ihn bis zur Vernichtung. Voll Wut gaben sie alsbald den angetretenen Weg auf und zogen zurück nach Ligurien, wo sie schon durchgezogen waren; dort machten sie reiche Beute, verwüsteten dann ebenso die Aemilia und zogen auf der Flaminischen Heerstraße zwischen Picenum und Tuszien bis zur Stadt Rom und plünderten die anliegenden Gegenden auf beiden Seiten. Endlich rückten sie in Rom ein und plünderten es auf Befehl des Alarich; sie legten jedoch nicht, wie wilde Völker gewöhnlich tun, Feuer an und duldeten nicht, daß die heiligen Orte irgendwie verunehrt wurden. Dann zogen sie fort durch Kampanien und Lukanien, das sie gleichfalls plünderten, und kamen zu den Bruttiern. Hier saßen sie lange und dachten daran, nach Sizilien und von da in die afrikanischen Länder hinüberzugehen. Das Land der Bruttier liegt nämlich ganz außen am Südostzipfel Italiens - die Ecke desselben bildet der Anfang des Gebirges Appenninus - und erstreckt sich wie eine Zuge ins Adriatische Meer, welches dadurch vom Tyrrhenischen getrennt wird. Sein Name stammt von der ehemaligen Königin Bruttia. Dorthin also kam Alarich, der König der Wesegoten, mit den Schätzen von ganz Italien, die er durch Plünderung gewonnen hatte, und beschloß, wie gesagt, von hier über Sizilien nach Afrika hinüberzugehen, das ihm eine Ruhestätte bieten sollte. Mehrere seiner Schiffe aber - nichts ist ja freigestellt, was der Mensch ohne Gottes Willen beschlossen hat - verschlang jenes furchtbare Meer, die meisten verschlug es. Während Alarich durch dieses Unglück niedergeschlagen darüber nachdachte, was zu tun S. 80 sei, wurde er plötzlich von einem frühen Tode dahingerafft und schied von dieser Welt. Ihn betrauerten die Seinen, die ihn sehr geliebt hatten. Sie leiteten den Fluß Basentus bei der Stadt Konsentia aus seinem Bette - dieser Fluß strömt nämlich mit heilbringendem Gewässer vom Fuß des Berges an der Stadt vorbei, - und mitten im Bette desselben ließen sie durch eine Schar Gefangener ein Grab graben und versenkten in seinen Schoß den Alarich mit vielen Schätzen; dann leiteten sie die Wogen wieder in ihr altes Bett; und damit von keinem je der Ort gefunden würde, töteten sie alle, welche mitgegraben hatten. Die Herrschaft über die Wesegoten übertrugen sie dem Atawulf, einem Blutsverwandten von ihm, von schöner Gestalt und hohem Geist; denn wenn er auch an Körpergröße nicht gar stattlich war, so war er doch durch Schönheit der Gestalt und des Gesichts sehr ansehnlich.
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