XLII.
S. 107 Als aber Attila durch den Abzug der Wesegoten die Gelegenheit bekommen und die Trennung der Feinde, die er oft gewünscht, bemerkt hatte, da wurde er bald wieder sicher und brach auf zur Unterwerfung der Römer. [452] Beim ersten Eindringen in Italien belagerte er Aquileja, die Hauptstadt Venetiens, auf einer Spitze oder Landzunge im Adriatischen Meere gelegen, deren Mauern im Osten der Fluß Natissa bespült, welcher vom Berg Piccis herabkommt. Da er sie nun lange Zeit belagerte, ohne etwas auszurichten - denn drinnen leisteten sehr tapfere Soldaten der Römer Widerstand -, da schon auch sein Heer murrte und abzuziehen verlangte, da bemerkte Attila beim Umwandeln der Mauern, indem er überlegte, ob er abziehen oder bleiben sollte, weiße Vögel, Störche, die auf den Giebeln ihre Nester bauten, wie sie ihre Brut aus der Stadt schleppten und ganz gegen ihre Gewohnheit über die Felder davontrugen. Wie er denn ein ungemein scharfsinniger Beobachter war, bekam er gleich eine Ahnung der Zukunft und sprach zu den Seinigen: „Seht da, wie diese Vögel, die die Zukunft voraussehen, die zum Untergang bestimmte Stadt verlassen und wegen der drohenden Gefahr die Burgen fliehen, die bald fallen sollen. Man halte dies nicht für bedeutungslos, für ein unsicheres Zeichen; die Furcht vor dem Kommenden verändert durch die Vorahnung desselben die Gewohnheit“. Kurz, die Seinigen ließen sich wieder von Kampfbegier entflammen, um Aquileja zu erstürmen. Maschinen wurden gebaut und Wurfgeschosse jeder Art in Anwendung gebracht, dann dringen sie unverzüglich in die Stadt ein, rauben, plündern, sengen und brennen mit solcher S. 108 Grausamkeit, daß sie kaum eine Spur von ihrem einstigen Dasein übrig ließen. Darnach rasten die Hunnen, schon mutiger und noch nicht gesättigt am Blute der Römer, durch die übrigen Städte Venetiens. Auch Mailand, das Haupt von Ligurien, einst eine Kaiserstadt, verwüsteten sie in gleicher Weise und stürzten auch Ticinum in dasselbe Unglück; ebenso verdarben sie die Nachbarorte mit ihrer Wut und richteten fast ganz Italien zugrunde. Als nun Attilas Absicht war, auf Rom loszurücken, hielten ihn die Seinigen davon ab, wie der Geschichtschreiber Priskus erzählt, nicht aus Rücksicht auf die Stadt, der sie feindlich waren, sondern im Hinblick auf das Schicksal Alarichs, des ehemaligen Königs der Wesegoten, aus Besorgnis für das Leben ihres eigenen Königs; denn jener hatte Roms Sturz nicht lange überlebt, sondern war gleich darauf von hinnen geschieden. Während also sein Geist unschlüssig war in der schwankenden Wahl, ob er gehen oder nicht gehen solle, und bei sich überlegend noch zögerte, kam eine Friedensgesandtschaft von Rom zu ihm. Der Papst Leo begab sich nämlich persönlich zu ihm auf das Ambuleische Gefilde in Venetien, wo eine Übergangsstelle ist für den Verkehr über den Mincius. Darnach ließ Attila alsbald ab von seiner gewohnten Wut und kehrte darin zurück, von wo er gekommen war, nämlich über die Donau, nachdem er Frieden versprochen hatte. Jedoch erklärte er vor allen Dingen und bekräftigte mit Drohungen, er werde größeres Unheil über Italien bringen, wenn man ihm nicht Honoria, die Schwester des Kaiser Valentinian, die Tochter der Kaiserin Placidia, mit der ihr von den königlichen Schätzen gebührenden Mitgift senden würde. Man sagte, diese Honoria habe, da sie zur Zierde des Hofes auf Befehl ihres Bruders, um ihre Keuschheit S. 109 zu wahren, eingeschlossen gehalten wurde, heimlich an Attila einen Eunuchen gesendet und ihn eingeladen, sie gegen die Macht ihres Bruders in Schutz zu nehmen. Eine große Niederträchtigkeit, sich auf Kosten des Gesamtwohls die Freiheit zur Wollust zu verschaffen
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