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Da nun Celsus die Wahrheitsliebe der Verfasser der heiligen Schriften da anerkennt, wo sie ganz offen auch Dinge berichten, die Anstoß erregen, so hätte er sich zu der Annahme bestimmen lassen sollen, dass auch die übrigen noch unbegreiflicheren Dinge von ihnen nicht erdichtet worden sind. Er hat aber das Gegenteil davon getan und „die Geschichte von Lot und seinen Töchtern“1 , ohne sie wörtlich zu prüfen oder ihren S. 359 bildlichen Sinn zu erforschen, für „abscheulicher erklärt als die Thyesteischen Greuel.“ Es ist nicht nötig, den tieferen Sinn dieser Stelle jetzt anzugeben, auch nicht was Sodom und die Anrede der Engel an den von dort erretteten2 bedeutet, nämlich die Worte: „Schaue nicht hinter dich und bleibe nicht in der ganzen Umgegend stehen, sondern rette dich aufs Gebirge, damit du nicht mitbetroffen wirst“3 , noch welche Bewandtnis es mit Lot habe und mit seinem Weibe, die in eine „Salzsäule“ verwandelt wurde, weil sie sich umwandte4 ; und mit seinen Töchtern, die ihren Vater trunken machten, um durch ihn Mütter zu werden5 . Wir wollen aber sehen, ob wir nicht mit einigen kurzen Worten das Anstößige in dieser Geschichte etwas mildern können. Auch die Griechen haben über die Natur der guten, bösen und in der Mitte zwischen gut und böse liegenden Dinge Untersuchungen angestellt. Diejenigen von ihnen, welche das Richtige treffen, stellen die Behauptung auf: Ob eine Handlung gut oder böse sei, das hänge allein von dem Willen ab; streng genommen seien alle Handlungen, von denen sich ergibt, dass sie ohne vorausgegangene Willensentschließung vollbracht werden, weder gut noch böse; die Absicht, die durch Handeln erreichen will, was Recht und Pflicht verlangt, sei lobenswert, jene aber, die einen schlechten Zweck im Auge hat, verdiente Tadel. In dem Abschnitt nun, in welchem sie von den unentschiedenen Handlungen sprechen, bemerken sie, den eigenen Töchtern beizuwohnen, sei streng genommen weder gut noch böse, wenn auch eine solche Handlung in geordneten Staaten nicht vorgenommen werden darf. Um nun ihren Satz, eine solche Handlung gehöre zu den Dingen, die weder gut noch böse seien, zu beweisen, setzen sie den Fall, dass das ganze Menschengeschlecht zugrunde gegangen und nur der Weise mit seiner Tochter allein übrig geblieben sei, und werfen die Frage auf, ob es da dem Vater gestattet wäre, seiner Tochter beizuwohnen, S. 360 um nach der ***Aussetzung eben das ganze Menschengeschlecht vor dem Untergang zu bewahren.
Bei den Griechen also gilt diese Erörterung für vernünftig, und die Schule der Stoiker, die bei ihnen in großem Ansehen steht, pflichtet ihr bei; wenn dagegen junge Mädchen, die von einer Weltverbrennung etwas erfahren, aber nicht begriffen hatten, und nun sahen, dass Feuer ihre Stadt und das Land erfaßte, und deshalb annahmen, ein lebendiger Keim des Menschengeschlechts wäre nur in ihrem Vater und in ihnen übrig geblieben, - wenn diese einer solchen Annahme wegen die Welt in ihrem Bestand erhalten wollten, soll dann ihr Tun schlechter sein als das des Weisen, der nach der Voraussetzung der Stoiker in dem Falle, dass alle Menschen zugrunde gegangen wären, seinen Töchtern ohne Schuld beiwohnen durfte? Ich weiß recht wohl, dass einige an dieser Absicht der Töchter Lots Anstoß genommen, ihre Tat für ruchlos angesehen und gesagt haben, aus diesen blutschänderischen Verbindungen seien zwei fluchbeladene Völker, die Moabiter und die Ammoniter, hervorgegangen6 . Und in Wahrheit findet man nicht, dass die Heilige Schrift eine solche Handlung ausdrücklich als eine sittlich gute anerkennt, noch auch, dass sie diese tadelt und rügt. Indessen, wie sich auch immer der wirkliche Tatbestand verhalten mag, man kann ihm eine sinnbildliche Deutung geben und ihn auch an sich in gewisser Weise entschuldigen.
