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Wenn aber die Manichäer gewisse Handlungen, deren tiefes Geheimnis ihnen ganz fremd ist, als Ausschweifung der Propheten kritisieren, so handeln sie ähnlich wie manche Gotteslästerer unter den Heiden, die es als Torheit oder besser als Verrücktheit Christi kritisieren, wenn er zu unpassender Jahreszeit einen Baum nach Früchten absuchte (cf. Mt. 21,19; Mk. 11,13), oder als Anwandlung kindlicher Albernheit, wenn er sich bückte und mit dem Finger auf die Erde schrieb, und, nachdem er auf die Fragen der Menschen geantwortet hatte, dasselbe nochmals tat (cf. Joh. 8,6 ff.). Denn sie haben keinen Verstand und begreifen nicht, dass manche positiven Eigenschaften grosser Seelen negativen Eigenschaften kleiner Seelen sehr ähnlich sind, wobei sie sich aber nur in ihrer äusseren Erscheinung, keinesfalls in ihrem inneren Wert vergleichen lassen. Wer aber solche Handlungen bei grossen Seelen kritisiert, ähnelt naiven Schulkindern, die als wichtige Regel gelernt haben, dass einem Subjekt im Singular ein Verb im Singular zuzuordnen ist, und die deshalb den feinsten Sprachkünstler unter den lateinischen Autoren kritisieren, weil er formulierte (VERG. Aen.I 212): Ein Teil schneiden Brocken zurecht – ihrer Meinung nach sollte er nämlich schneidet zurecht sagen –, oder die wissen, dass man religio sagt, und deshalb dem Dichter als Fehler ankreiden, wenn er relligione patrum mit Doppel-L schrieb (cf. Aen. 2,715). So wäre wohl folgender Vergleich nicht unpassend: so gross im Bereich des Sprachlichen der Unterschied zwischen rhetorischen Figuren und Metaplasmen (poetischen Neubildungen) von Sprachkünstlern und den Soloezismen (syntaktischen Fehlern) und Barbarismen (falschen Wortformen) ungeübter Schreiber ist, ebenso gross ist der Unterschied zwischen den als Modellbilder dienenden Handlungen der Propheten, und den aus Zügellosigkeit begangenen Sünden der Gottlosen. Wie nun ein Knabe, der wegen einer falschen Wortform gerügt wurde, und sich darauf mit einer poetischen Neubildung des Vergil herausreden wollte, Gertenhiebe bekommt, genau so müsste also ein jeder, der sich mit der Magd seiner Ehefrau gewälzt hat und nachher die Tat des Abraham – dieser habe ja mit der Agar Nachkommen gezeugt (cf. Gen. 16) – als Beispiel zu seiner Verteidigung in Anspruch nimmt, zurechtgewiesen werden – und zwar nicht mit Gertenhieben sondern gleich mit Stockhieben –, damit er nicht mit den andern Ehebrechern zusammen zur ewigen Strafe verdammt wird. Zugegeben, jene sprachlichen Dinge sind Nebensächlichkeiten, die moralischen dagegen ganz zentral, und ich habe den Vergleich zwischen den beiden nicht etwa deswegen gezogen, um eine rhetorische Figur mit einem Heilssymbol, einen syntaktischen Fehler mit einem Ehebruch auf gleiche Stufe zu stellen. Hat man allerdings die Relationen innerhalb der beiden Bereiche im Auge, so kann man doch sagen: wie bei der Bewertung von „Vorzügen“ oder„Mängeln“ im sprachlichen Ausdruck das Kriterium „Sprachkunst“ oder „sprachliches Unvermögen“ wichtig ist, so ist es – allerdings auf einer ganz andern Ebene – bei der Bewertung von „Tugenden“ und „Lastern“ im moralischen Verhalten das Kriterium „Weisheit“ oder „Torheit“.
