50.
Nun hätte doch jener Patriarch, den Faustus - mit geschlossenen oder besser gesagt blinden Augen - als Lüstling verunglimpft, wäre er Sklave sexueller Begierlichkeit, nicht der Gerechtigkeit gewesen, gewiss den ganzen Tag über auf die Lustbarkeiten der kommenden Nacht hingefiebert, in der er mit der schöneren der beiden Ehefrauen schlafen würde, die er sicherlich mehr liebte, und für die er zweimal sieben Jahre lang ohne Bezahlung Frondienst geleistet hatte (cf. Gen. 29,20. 27). Und wenn er dann nach vollbrachtem Tagwerk in ihre Arme geeilt wäre (cf. Ib. 30,16), hätte es da noch eine Möglichkeit gegeben, ihn von seinem Ziel abzuhalten, wenn er einer gewesen wäre, wie ihn die Manichäer in ihrem Unverstand sich vorstellen? Wäre er nicht vielmehr über die Abmachung unter den Ehefrauen hinweggegangen und hätte unbeirrt bei der schöneren unter ihnen angeklopft, die ihm ja diese Nacht schuldig war, nicht nur nach ehelichem Brauch, sondern auch nach dem festgelegten Turnus? Hätte er sich nicht seinerseits auf seine Verfügungsgewalt als Ehemann berufen, da ja auch die Frau nicht die Verfügungsgewalt über ihren Leib besitzt, sondern der Mann (I Kor. 7,4), und da zudem der unter den Frauen eingeführte Turnus der Dienstbarkeit zu seinen Gunsten sprach? Er hätte also, wäre er Sklave äusserer Schönheit gewesen, mit bedeutend mehr Siegeschancen auf seine ihm als Ehemann zustehende Verfügungsgewalt pochen können, allerdings wären dann seine Ehefrauen umso besser dagestanden, da sie selber um Nachwuchs gekämpft hätten, er aber um sein sexuelles Vergnügen. Dieser Mann, der sich, wahrhaft ein Mann, vollkommen im Zügel hielt, - er ging ja mit seinen Ehefrauen so mannhaft beherrscht um, dass er sich von der Fleischeslust nicht beherrschen liess, sondern sie beherrschte -, achtete also mehr darauf, was er selber schuldete, als darauf, was ihm geschuldet war; und es lag ihm nicht daran, von seiner Verfügungsgewalt vollen Gebrauch zu machen, um die eigene Lust zu befriedigen, vielmehr war ihm die Erfüllung jener Verpflichtung wichtiger als ihre Einforderung. Daher war es nur folgerichtig, dass Jakob die Schuld bei der Lea beglich, die von Rachel, in deren Schuld er eigentlich stand, dazu ausersehen war, seine Schuldbegleichung an ihrer Stelle in Empfang zu nehmen. Und als er dann, nachdem er von der Abmachung und dem Vertrag unter den Ehefrauen erfahren hatte, plötzlich und unvorhersehbar von der wunderschönen Ehefrau weg- und zur weniger graziösen hingerufen wurde, da wurde er nicht bleich vor Wut, er verfiel nicht in eine tiefe Depression, er versuchte nicht memmenhaft bald die eine, bald die andere zu bezirzen, ob ihm nicht doch Rachel diese eine Nacht schenken könnte; nein, als gerechter Ehemann und vorausschauender Vater, der sah, dass beide Frauen von der Sorge um die Nachkommenschaft geleitet waren, und der auch selber beim Geschlechtsakt nur dieses eine Ziel vor Augen hatte, kam er zum Schluss, dass er sich dem Willen seiner Ehefrauen, die ja beide für sich Nachkommenschaft erhofften, zu fügen habe, und dass sein eigener Wille dadurch keinen Eintrag erführe, da er ja in beiden Fällen Vater dieser Nachkommen wäre. Es ist als ob er gesagt hätte: Macht es ganz nach Belieben unter euch selber aus, welche von euch beiden Mutter wird; was soll ich mich da einmischen, wer von den beiden die Mutter des Kindes sein wird, es wird ja denselben Vater haben! Wie besonnen sich Jakob verhielt, wie er seine Begierde im Zügel hielt, wie er beim ehelichen Akt ausschliesslich an die Zukunft des Menschengeschlechtes dachte, all das würde Faustus, scharfsinnig wie er ist, in jenen Schriften gewiss erkennen und anerkennen, wenn sein Geist, der durch eine verabscheuungswürdige Religion irregeleitet ist, nicht allein darauf aus wäre, Kritikwürdiges aufzuspüren, und wenn er nicht jene einzige ehrenhafte Form der ehelichen Vereinigung, bei der sich Mann und Frau zur Zeugung von Nachkommen verbinden, als grösstes Verbrechen ansehen würde.
