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Deshalb also hat Jakob zwei Frauen aus dem freien Stande; denn beide sind Töchter der Sündenvergebung, d.h. des Weissmachens, was die Bedeutung des Namens Laban ist; allerdings wird die eine begehrt, die andere ertragen. Dafür ist jene, die ertragen wird, früher und reicher mit Nachkommen gesegnet, und wird daher, wenn schon nicht um ihrer selbst willen, wenigstens ihrer Kinder wegen geliebt. Denn die Mühsal der Gerechten trägt ihre grösste Frucht in Gestalt jener, die sie für das Reich Gottes zeugen, indem sie inmitten zahlreicher Versuchungen und Wirrnisse das Evangelium verkünden, und sie nennen die, um deretwillen sie mit mehr Mühsal beladen sind, masslos geschlagen werden, häufiger in Todesgefahr sind (cf. II Kor. 11,23), um deretwillen sie von aussen Anfeindungen, im Innern Ängste erleiden (cf. II Kor. 7,5), ihre Freude und ihren Siegeskranz (cf. Phil. 4,1). Leichter aber und in grösserer Zahl gewinnen sie diesen Nachwuchs für das Reich Gottes, wenn sie in ihrer Glaubensverkündigung von Christus als dem Gekreuzigten sprechen (cf. I Kor. 1,23) und von all den andern Geschehnissen aus seiner Menschheitsgeschichte, die vom menschlichen Denken schneller aufgenommen werden, und auch die schwachen Augen der Lea (cf. Gen. 29,17) nicht überfordern. Rachel dagegen, glänzend in ihrer Sehkraft (ib.), ist von Sinnen für Gott (II Kor. 5,13) und sieht das Wort am Anfang, das Gott bei Gott war (cf. Joh. 1,1), und sie möchte Kinder haben und vermag es nicht, denn wer wird von seiner Nachkommenschaft erzählen (Is. 53,8)? Diese Lebensform nun, die in ihrer Hingabe an die geistige Schau danach strebt, das, was dem Fleisch unsichtbar ist, mit dem durchdringenden Auge der Vernunft durch die Werke der Schöpfung hindurch zu erkennen und zu betrachten (cf. Rm. 1,20), und die ewige Kraft Gottes und seine göttliche Natur in unbeschreiblicher Deutlichkeit wahrzunehmen, sie will sich freihalten von jeder irdischen Beschäftigung, und trägt deshalb keine Frucht. Während sie nämlich auf Musse bedacht ist, jenen Zündstoff für die Hingabe an die geistige Schau, wird ihr die Schwäche der Menschen fremd, die in verschiedensten Zwangslagen Hilfe für sich erwarten. Da aber auch sie den brennenden Wunsch hat, Frucht zu tragen – denn sie will ihre Kenntnis weitergeben (cf. Sap. 6,22) und nicht von verzehrendem Neid auf ihrem Weg begleitet sein (ib. 23) -, beobachtet sie nun, wie ihre Schwester in der Mühsal des Tätigseins und der Leiden überreich an Nachkommen ist, und es schmerzt sie, dass die Menschen sich eher an jene Instanz wenden, die ihnen in ihren Nöten und Drangsalen Rat weiss, als an jene, von der sie etwas Göttliches und Unwandelbares erfahren könnten. Dieser Schmerz aber scheint modellhaft vorgezeichnet zu sein in jenem Schriftwort (cf. Gen. 30,1): Und Rachel wurde eifersüchtig auf ihre Schwester. Da aber die Idee jener unkörperlichen und deshalb dem Wahrnehmungsvermögen des Fleisches entzogenen Substanz durch fleischlich geprägte Worte nicht in reiner und unverfälschter Form dargestellt werden kann, entschliesst sich die Lehre der Weisheit, jene göttlichen Dinge mithilfe einer ganzen Reihe von körperlichen Bildern und Gleichnissen dem Denken schlecht und recht nahezubringen, statt einfach vor der Aufgabe, solche Dinge zu lehren, zu kapitulieren, so wie Rachel es vorzog, sich aus der Verbindung ihres Ehemann mit ihrer Magd Kinder zu verschaffen, statt gänzlich ohne Kinder dazustehen (cf. Gen. 30,1 ff.). Man sagt ja, dass das Wort Bala soviel wie veraltet, abgenutzt, verbraucht bedeutet; so hiess aber die Magd Rachels (ib. 3). Das alte Leben, dessen Wahrnehmung fleischlich bestimmt ist, denkt ja in körperlichen Bildern, auch wenn etwas über die geistige und unwandelbare Substanz der göttlichen Natur zu hören ist.
