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Wer nun aber glaubt, Gott habe nicht zum Krieg auffordern können, da ja der Herr Jesus Christus später sagte (Mt. 5,39): Ich aber sage euch, leistet dem Bösen keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin!, der sollte erkennen, dass die Bereitschaft für diese Haltung nicht im Körper, sondern im Herzen beheimatet ist. Dort nämlich befindet sich der Sitz der Tugend, die auch in jenen Gerechten des Alten Testaments, unsern Vätern wohnte. Doch der Gang der Geschichte verlangte diese Anordnung und Verteilung der Geschehnisse, damit zuerst einmal deutlich sichtbar würde, dass auch die irdischen Güter selber, zu denen sowohl die menschliche Herrschergewalt wie auch die Siege über die Feinde gerechnet werden, - für deren Erreichen die Gemeinschaft der Gottlosen, die sich über die ganze Welt ausbreitet, besonders angelegentlich zu den Götzenbildern und Dämonen zu beten pflegt -, völlig der Entscheidungsgewalt und dem Ermessen des einen wahren Gottes unterstellt sind. Aus diesem Grund hüllte das Alte Testament das Geheimnis des Himmelreiches, das zum geeigneten Zeitpunkt enthüllt werden sollte, in irdische Verheissungen ein, und verbarg es damit gewissermassen im tiefen Schatten. Als aber die Fülle der Zeit gekommen war (cf. Gal. 4,4), in der das Neue Testament enthüllt werden sollte, das durch die Modellbilder des Alten Testaments verhüllt war, da galt es, durch eindeutige Zeugnisse darauf hinzuweisen, dass es ein anderes Leben gibt, für dessen Erreichen unser jetziges Leben geringzuachten ist, und ein anderes Reich, für das die Feindseligkeit sämtlicher irdischer Reiche mit grösster Geduld ertragen werden muss. Daher werden jene Menschen, durch deren Bekenntnis, Leiden und Sterben Gott dies bezeugen wollte, Märtyrer genannt, was mit Zeugen, lateinisch testes, übersetzt werden kann. Diese erblühten in solcher Zahl, dass kein Volk ihnen widerstanden hätte, und sämtliche Reiche ihrer Übermacht gewichen wären, wenn Christus – der Paulus vom Himmel aus anrief (cf. Apg. 9,4), ihn vom Wolf zum Schaf machte und ihn mitten unter die Wölfe schickte – sie hätte sammeln, bewaffnen und im Kampf unterstützen wollen, so wie er die Hebräischen Väter unterstützte. Um aber ein unübersehbares Zeugnis für die Wahrheit abzugeben, die uns lehren sollte, dass wir Gott nicht um des zeitlichen Glücks in diesem Leben, sondern um des ewigen Glücks nach diesem Leben zu dienen haben, mussten sie für jenes zukünftige Glück das auf sich nehmen und ertragen, was man in der Alltagssprache als Unglück bezeichnet. In der Fülle der Zeit schickt daher der Sohn Gottes, geboren von einer Frau, geboren unter dem Gesetz, damit er freikaufe die unter dem Gesetz standen (cf. Gal. 4,4), geboren aus der Nachkommenschaft Davids dem Fleische nach (cf. Rm. 1,3), seine Jünger wie Schafe mitten unter die Wölfe (cf. Mt. 10,16), und mahnt sie, jene nicht zu fürchten, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können (ib. 28), er verspricht ihnen gar die vollständige Erneuerung ihres Leibes bis hin zur Wiederherstellung der Haare (ib. 30), er beordert das Schwert des Petrus in die Scheide zurück (cf. Mt. 26,52; Joh. 18,11), stellt das abgeschnittene Ohr des Feindes in seiner ursprünglichen Form wieder her (cf. Lk. 22,51), erklärt, dass er den Engelslegionen die Vernichtung der Feinde hätte befehlen können (cf. Mt. 26,53), wenn er nicht den Kelch trinken müsste, den ihm der Wille des Vaters gereicht habe (cf. Lk. 22,42; Joh. 18,11), er trinkt ihn als erster und gibt ihn denen zu trinken, die ihm nachfolgen, er enthüllt mit seinem Gebot die Tugend der Leidensfähigkeit und bestätigt sie mit seinem Beispiel. Deshalb hat ihn Gott von den Toten erweckt und ihm den Namen verliehen, der grösser ist als alle Namen, damit sich vor dem Namen Jesu jedes Knie beuge, das der Himmlischen, der Irdischen und der Unterirdischen, und damit jede Zunge bekenne, dass Jesus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters (Phil. 2,9-11). So besassen also die Patriarchen und Propheten Herrschergewalt in dieser Welt, was zeigen sollte, dass es Gott ist, der die irdischen Reiche gibt und wegnimmt, die Apostel und Märtyrer dagegen besassen sie nicht, was kundtun sollte, dass vielmehr das Himmelreich erstrebenswert ist. Jene führten machtvolle Kriege, damit deutlich würde, dass auch solche Siege dem Willen Gottes zu verdanken sind, diese liessen sich widerstandslos töten, um zu zeigen, dass es ein grösserer Sieg ist, für den Glauben an die Wahrheit zu sterben. Allerdings wussten auch jene Propheten für die Wahrheit zu sterben, wie ja der Herr selber sagt (Mt. 23,35): Vom Blut Abels bis zum Blut des Zacharias. Und nachdem sich das zu erfüllen begann, was in der Gestalt Salomons – dessen Name sich mit Friedensbringer, lateinisch pacificus übersetzen lässt – modellhaft über Christus den Herrn – er ist ja unser Friede (cf. Eph. 2,14) – im Psalm prophezeit wurde (Ps. 71,11): Und es werden ihm alle Könige der Erde huldigen, alle Völker werden ihm dienen, da errangen auch die christlichen Kaiser, die ihre religiöse Verehrung voller Vertrauen auf Christus ausrichteten, einen höchst ruhmreichen Sieg über ihre gottlosen Feinde, die ihre Hoffnung auf Götzen- und Dämonenkulte verlegt hatten; es gibt ja ganz offenkundige und allseits bekannte Beispiele, über die schon eine ganze Reihe von Autoren schriftlich berichtet haben, wie diese Heiden durch Wahrsagungen von Dämonen in die Irre geführt, diese Christen aber durch die Vorhersagen der Heiligen bestärkt wurden.
