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Der eigentliche Grund aber, warum Faustus mit seinem Giftzahn ausgerechnet auf Juda einbeissen wollte, liegt wohl darin, dass wir die Herkunft Christi aus seinem Stamm verkünden, eine Deutung, die besonders deshalb naheliegt, weil sich im Stammbaum der Väter Christi, den der Evangelist Matthaeus aufführt (cf. Mt. 1,3) auch Zara befindet, den eben jene Thamar als Frucht jener Liebesbegegnung geboren hat (cf. Gen. 38,30). Hätte er nämlich den Spross Jakobs, nicht die Abkunft Christi im Visier seiner Kritik gehabt, hätte sich ihm viel eher Ruben, sein Erstgeborener, angeboten, der in frevelhafter Liebesgier das väterliche Ehelager schändete (cf. Gen. 35,22), eine unzüchtige Handlung, die, wie der Apostel sagt, nicht einmal bei den Heiden angetroffen wurde (cf. I Kor. 5,1). Diese Untat hat ja selbst der Vater Jakob, als er seine Söhne segnete, nicht unerwähnt gelassen, indem er Tadel und Fluch über sein Haupt aussprach (cf. Gen. 49,3 f.). Eher dieses Verbrechen also hätte Faustus an den Pranger gestellt - bei dem es sich klarerweise nicht um einen durch das Dirnengewand provozierten Irrtum, sondern um eine ganz und gar willentliche Schändung des väterlichen Lagers handelt -, wäre ihm nicht Thamar noch zusätzlich verhasst, weil sie sich mit jener sexuellen Eskapade einzig ihren Kinderwunsch erfüllen wollte, und nicht vom puren Verlangen nach fleischlicher Lust dazu getrieben wurde, und hätte er mit seiner Anschwärzung der Vorfahren Christi nicht bezweckt, den Glauben an seine Menschwerdung zu untergraben, ohne jedoch in seiner Erbärmlichkeit zu erkennen, dass der Erlöser, der die reine Wahrheit ist und die reine Wahrheit verkündet, nicht nur durch sein Wort, sondern auch durch seine Geburt als unser Lehrer erschienen ist. Denn die Gläubigen, die ihm einmal aus allen Völkern zuströmen würden, sollten auch am Beispiel seiner eigenen fleischlichen Herkunft lernen, dass die üblen Taten ihrer Vorfahren für sie kein Hindernis sein können. Und so wollte jener Bräutigam, passend zu den geladenen Gästen, die er ja, ob gut oder bös, zu seiner Hochzeit einladen würde (cf. Mt. 22,10), selber auch von guten und bösen Vorfahren abstammen, um damit zu beglaubigen, dass jene prophetische Figur des Paschafestes, bei dem die Vorschrift bestand, ein Schaf- und ein Ziegenjunges, sinnbildhaft für die Gerechten und die Ungerechten, zu erwerben und zu verspeisen (cf. Ex. 12,3 ff.), ein Modellbild seiner selbst darstellte. Im Bestreben, allüberall Zeichen für sein Gott- und Mensch-Sein zu setzen, verschmähte er es also nicht, in Übereinstimmung mit seiner menschlichen Natur sowohl Gute wie Böse in seiner Ahnenreihe zu haben, wählte aber anderseits eine Jungfrau als Mutter, um so dem Wunder seiner göttlichen Natur Ausdruck zu geben.
