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Nun aber wechsle Thamar ihr Gewand (cf. Gen. 38,14): Thamar lässt sich ja auch mit sich wandelnd übersetzen. Dabei soll aber der Begriff Bitterkeit in ihrem Namen durchaus seine Geltung behalten, aber nicht mehr in jenem Sinn der Bitterkeit, die die Galle dem Herrn verabreichte (cf. Mt. 27,48; Lk. 23,36; Joh. 19,29), sondern in dem Sinn, wie Petrus bitterlich weinte (cf. Mt. 26,75). Nun bedeutet Juda ja auch Bekenntnis, lateinisch confessio: Lassen wir also die bittere Reue sich mit dem Bekenntnis vereinigen, sodass daraus das prophetische Sinnbild der wahren Busse entsteht. Durch diese Busse gewinnt di/e Kirche, die sich über alle Völker ausgebreitet hat, ihre Fruchtbarkeit. Denn es musste so kommen, dass Christus leiden und am dritten Tag auferstehen wird, und dass in seinem Namen allen Völkern, angefangen in Jerusalem, Busse und Verzeihung ihrer Sünden verkündet wird (Lk. 24,46 f.). Auch jene Dirnenaufmachung (cf. Gen. 38,14) bedeutet ja ein Sündenbekenntnis. Thamar stellt nämlich schon ein prophetisches Bild der Kirche, die aus den Heidenvölkern herausgerufen wurde, dar, indem sie sich in dieser Aufmachung am Ortseingang von Aenan oder Enaim niedersetzte, einem Namen, der mit Brunnen übersetzt wird: denn sie eilte dorthin, so wie ein Hirsch zur Wasserquelle eilt (cf. Ps. 41,2), um den Samen Abrahams zu erlangen: dort wird sie nun fruchtbar durch einen, der sie nicht kennt, da ja über sie vorausgesagt wurde (Ps. 17,44): Ein Volk, das ich nicht kannte, wurde mir untertan. Als sie noch verhüllt war empfing sie den Siegelring, die Schnur und den Stab (cf. Gen. 38,18): die Berufung ist nun ihr Siegel, die Rechtfertigung ihr Schmuck, die Verherrlichung ihre Erhöhung. Denn die er vorausbestimmt hat, hat er auch berufen, und die er berufen hat, hat er auch gerechtfertigt, und die er gerechtfertigt hat, hat er auch verherrlicht (Rm. 8,30). Aber dies geschah, wie ich gesagt habe (690,22), noch vor der Enthüllung, und das ist die Zeit, zu der auch der Reichtum der Heiligkeit empfangen wird. Das versprochene Ziegenböckchen aber – der Ziegenbock stellt den Vorwurf der Sünde dar - soll der vermeintlichen Dirne durch den schon genannten Adullamiter (689,12) überbracht werden (cf. Gen. 38,17. 20), damit er ihr so gleichsam die vorwurfsvollen Worte entgegenschleudere (Mt. 3,7): Du Natternbrut! Doch dieser Vorwurf der Sünde fand die Frau nicht mehr (ib. 21), denn die bittere Reue ihres Sündenbekenntnisses (690,10) hatte sie verwandelt. Nachdem sie aber ihre Pfänder, den Siegelring, die Schnur und den Stab, öffentlich gemacht hatte, besiegte sie die unüberlegt urteilenden Juden, die Judas damals symbolisch vertrat, und die heute noch behaupten, dass unser Volk nicht das Volk Christi sei, und dass wir nicht Nachkommen Abrahams seien. Wenn aber die unumstösslichen Beweise unserer Berufung, unserer Rechtfertigung und unserer Verherrlichung einmal vorgelegt sind, werden sie zweifellos an ihrer Meinung irre werden und zugeben, dass eher wir als sie gerechtfertigt sind. Ich würde diese Fragen, soweit der Herr mein Vorhaben unterstützte, noch detaillierter, sozusagen Abschnitt für Abschnitt und Satz für Satz, untersuchen und erörtern, wenn mich nicht die Sorge, das vorliegende Werk, das schon umfangreicher als geplant ausgefallen ist, zu Ende zu führen, von dieser allzu aufwendigen Gründlichkeit abhalten würde.
