89.
Was nun den Propheten Hosea betrifft, brauche ich nicht selber auszuführen, wie jener Befehl Gottes und die Handlungsweise des Propheten zu deuten ist, als der Herr zu Hosea sagte (Os. 1,2): ‛Geh und nimm dir eine Dirne zur Frau und zeuge mit ihr Kinder der Unzucht, da die Schrift selber klar genug zeigt, welches der Anlass und der Zweck dieses Satzes war. Denn die Fortsetzung lautet (Os. 1,2-2,3): denn das Land treibt Unzucht und wird dem Herr untreu’. Und Hosea ging und nahm sich Gomer, die Tochter Diblajims zur Frau; und sie wurde schwanger und gebar ihm einen Sohn. Und der Herr sagte zu ihm: ‛Gib ihm den Namen ″Jesreel″, denn nur noch kurze Zeit, und ich werde die Blutschuld Jesreels am Haus Juda rächen und die Königsherrschaft des Hauses Israel beendigen und zum Weichen bringen. Und ich werde an jenem Tag den Bogen Israels in der Ebene Jesreel zerbrechen’. Und Gomer wurde abermals schwanger und gebar eine Tochter. Und der Herr sagte zu Hosea: ‛Gib ihr den Namen ″Kein Erbarmen″, denn von jetzt an habe ich kein Erbarmen mehr mit dem Haus Israel, sondern werde sie dem tiefen Vergessen anheimgeben; hingegen werde ich mich des Hauses Juda erbarmen, und ich werde ihnen Rettung bringen im Herrn, ihrem Gott, aber ich werde ihnen nicht Rettung bringen mit Bogen, Schwert und Krieg, mit Ross und Reiter’. Und Gomer entwöhnte ihre Tochter mit dem Namen ″Kein Erbarmen″, und sie wurde schwanger und gebar einen Sohn. Und der Herr sagte zu Hosea:‛Gib ihm den Namen ″Nicht mein Volk″, da ihr nicht mein Volk sein werdet, und ich nicht euer Gott. Und es wird die Zahl der Söhne Israels so sein wie der Sand am Meer, der nicht zu messen und nicht zu zählen ist; und man wird zu ihnen statt ″Ihr seid nicht mein Volk″ sagen ″Söhne des lebendigen Gottes″. Und die Söhne Judas und die Söhne Israels werden sich zusammenschliessen und sich ein gemeinsames Oberhaupt geben, und sie werden sich vom Boden erheben, denn der Tag Jesreels wird gross sein. Nennt eure Brüder ″Mein Volk″ und eure Schwester ″Sie hat Erbarmen gefunden″’. Da also der Herr selber mit dieser Schriftstelle in aller Klarheit enthüllt, was jener Befehl Gottes und die Handlungsweise des Propheten (694,10) modellbildhaft darstellen, und da zudem die Schriften der Apostel bezeugen, dass diese Prophetie in der Verkündigung des Neuen Testaments erfüllt wurde, wird sich doch niemand zur Behauptung versteigen, was da der Befehlsgeber selber in den Heiligen Schriften als Grund für seinen Befehl und das Handeln des Propheten angegeben habe, sei gar nicht der wahre Grund für jenen Befehl und jene Handlungsweise gewesen. Es sagte nämlich der Apostel Paulus (Rm. 9,23-25): …um an den Gefässen des Erbarmens, die er zur Herrlichkeit vorbestimmt hat, den Reichtum seiner Herrlichkeit zu zeigen; zu diesen berief er auch uns, nicht nur aus den Juden, sondern auch aus den Heidenvölkern. So sagt auch Hosea [cf. Os. 2,25]: ‛Ich werde, was ″Nicht mein Volk″ hiess, ″Mein Volk″ nennen, was ″Nicht geliebt″ hiess, ″Geliebt″, und [Os. 2,1] man wird zu ihnen statt ″Ihr seid nicht mein Volk″ ″Söhne des lebendigen Gottes″ sagen’. Dass dies über die Heidenvölker prophezeit war, zeigt also Paulus. Aus der gleichen Quelle fügt auch Petrus in seinem Brief an die Heiden (I Petr. 2,9 f.), zwar ohne den Namen des Propheten zu erwähnen, dessen Prophetie zwischen die eigenen Worte ein: Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht [Is. 43,20], eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk [exod. 19,6], ein Volk, das dazu erworben wurde, damit ihr die Ruhmestaten dessen verkündet [cf. Is. 43,20], der euch aus der Finsternis berufen hat in sein wunderbares Licht. Einst wart ihr nicht sein Volk, jetzt aber seid ihr Gottes Volk [cf. Os. 2,25], einst gab es für euch kein Erbarmen, jetzt aber habt ihr Erbarmen gefunden [ib.]. Daraus geht doch klar hervor, dass das Wort des Propheten: Und es wird die Zahl der Söhne Israels so sein wie der Sand am Meer, der nicht zu messen und zu zählen ist (Os. 2,1), wie auch die unmittelbare Fortsetzung: Und man wird zu ihnen statt ″Ihr seid nicht mein Volk″ sagen ″Söhne des lebendigen Gottes″, sich in keiner Weise auf jenes Israel bezieht, das dem Fleische nach existiert, sondern auf jenes, über das der Apostel zu den Heiden sagt (Gal. 3,29): Ihr aber seid Abrahams Nachkommen, Erben kraft der Verheissung. Nun fanden aber auch aus jenem Judäa viele zum Glauben, und noch viele werden dazu finden – von da kamen ja auch die Apostel, von da die vielen Tausende, die sich in Jerusalem den Aposteln anschlossen (cf. Apg. 2,14;4,4), von da die Christengemeinden, über die der Apostel in seinem Brief an die Galater sagt (Gal. 1,22): Den Gemeinden in Judäa aber, die in Christus sind, war ich persönlich unbekannt -, weshalb ja auch der Apostel jenen Eckstein, als welcher der Herr in den Psalmen bezeichnet wird (cf. Ps. 117,22), in dem Sinn interpretiert (cf. Eph. 2,11 ff.), dass er die zwei Wände, nämlich jene der Beschneidung und jene der Vorhaut, bei sich zusammenkommen liess, um die zwei in seiner Person zu dem einen Neuen Menschen zu machen, indem er Frieden stiftete (ib. 15), und um beide durch das Kreuz in einem einzigen Leib auf Gott hin zu verwandeln, indem er in seiner eigenen Person die Feindschaft abtötete (ib. 16), und um mit seinem Kommen den Frieden zu verkünden, sowohl ‛denen, die in der Ferne, wie auch denen, die in der Nähe sind [Is. 57,19]’ (ib. 17), d.h. den Heiden in der Ferne und den Juden in der Nähe; denn er ist unser Friede, er vereinigte beide zu einer Einheit (ib. 14); und so sagt auch der Prophet Hosea zurecht, indem er anstelle der Juden die Söhne Judas, anstelle der Heiden die Söhne Israels einsetzt (Os. 1,2): Und es werden sich die Söhne Judas und die Söhne Israels gleich zu gleich zusammenschliessen und sich ein gemeinsames Oberhaupt geben, und sie werden sich vom Boden erheben. Wer also dieser Prophetie widerspricht, die sich durch die Verwirklichung der Voraussage so offensichtlich als wahr herausgestellt hat, der widerspricht in schamlosester Weise nicht nur den Schriften der Propheten, sondern auch jenen der Apostel, und nicht nur irgendwelchen Schriften, sondern auch einer Heilswirklichkeit, die sich bereits erfüllt hat und in strahlendem Licht dasteht. Das Fazit: vielleicht verlangte jene Tat Judas einer noch eingehenderen und sorgfältigeren Untersuchung, damit die Dirnengestalt, welche als Sinnbild steht für die Kirche, die aus der Prostitution heidnischen Aberglaubens herausgeholt wurde, in der Gestalt jener Frau, die den Namen Thamar trägt, noch deutlicher erkennbar würde. Da sich aber in dieser Frage die Schrift selber erklärt (cf. Os. 1,2-2,3), und da sie zudem noch durch einhellige Aussagen der Apostel erläutert wird (cf. Rm. 9,23; I Petr. 2,9), wollen wir uns nicht länger dabei aufhalten, sondern uns zum Schluss noch damit beschäftigen, welches der Sinnbildgehalt der Taten ist, die Faustus Moses, dem Diener Gottes zum Vorwurf macht (595,12)!
