61.
Im übrigen fügen wir dem Hinweis des Faustus, dass Juda Unzucht getrieben habe (595,2 ff.) als weiteres hinzu, dass er auch noch seinen Bruder Joseph nach Ägypten verkaufte (cf. Gen. 37,26 ff.). Können etwa verwachsene Glieder eines Menschen das Licht verunstalten, welches alles an den Tag bringt? Ebensowenig aber können Missetaten eines Menschen die Schrift, durch deren Zeugnis diese dem Leser bekannt werden, verderben. Wenn man nun also jenes ewige Gesetz zu Rat zieht, das die natürliche Ordnung zu bewahren gebietet, sie zu stören verbietet, so legt es fest, dass der Geschlechtsakt beim Menschen einzig der Fortpflanzung zu dienen hat, und dies wiederum nur im Rahmen einer durch die Gesellschaft geregelten Ehe, was verhindert, dass das Band des Friedens, [das die Eheleute zusammenhält ?] brüchig wird (cf. Eph. 4,3). Und deshalb wird das öffentliche Sichfeilbieten der Frauen, – und zwar nicht zur Mehrung der Nachkommenschaft, sondern zur Lustbefriedigung der sich Feilbietenden – durch das göttliche und ewige Gesetz verurteilt. Denn käufliche Unmoral bringt einem jeden, der sie kauft, Unehre. Und so hätte sich Juda selbstverständlich schwerer versündigt, wenn er seine Schwiegertochter erkannt und ihr trotzdem hätte beiwohnen wollen (cf. Gen. 38,12 ff.), - wenn nämlich Mann und Frau nach den Worten des Herrn (Mt. 19,6) nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch sind, so ist kein Unterschied zu machen zwischen Schwiegertochter und Tochter -, und doch besteht kein Zweifel, dass jenes Techtelmechtel mit der Dirne, was die Verantwortlichkeit Judas anbelangt, eine unmoralische Handlung war. Für die Schwiegertochter dagegen, die ihren Schwiegervater täuschte (cf. Gen. 38,14), war es insofern keine Sünde, als sie ihn nicht fleischlich begehrte, und auch nicht nach dem Dirnenlohn schielte; vielmehr wünschte sie sich Nachwuchs aus eben dem Blut, aus dem sie ihn nicht mehr bekommen konnte, nachdem sie bereits mit zwei Brüdern verheiratet gewesen war und der dritte ihr verweigert wurde (cf. Ib. 6 f.; 7-10; 11; 14), und sie bot deshalb ihren Körper mit einer List deren Vater, ihrem Schwiegervater zur Schwängerung an, wobei sie als Pfand für den Liebeslohn (ib. 17, f.) einen Siegelring bekam, den sie nicht als Schmuck, sondern als Beweisstück aufbewahrte. Nun wäre es zwar besser für sie gewesen, kinderlos zu bleiben, statt ausserhalb einer rechtmässigen Ehe Mutter zu werden, doch war das Motiv für ihre sündige Tat immerhin ein ganz anderes, wenn sie ihren Schwiegervater als Vater für ihre Kinder vorsah, als wenn sie ihn als Liebhaber begehrt hätte. Als sie schliesslich auf seinen Befehl hin zur Hinrichtung geführt wurde (ib. 24 ff.) und Stab, Halsband und Siegelring mit den Worten vorwies, sie sei von dem Mann geschwängert worden, von dem jene Unterpfänder stammten, da antwortete er, als er seine eigenen Geschenke erkannte, dass eher sie als er von Schuld freizusprechen sei; er habe ihr nämlich seinen Sohn als Ehemann verweigert (ib. 14), eine Zurückweisung, die sie dazu gebracht habe, sich die Nachkommenschaft, die sie sich einzig aus seinem Stamm wünschte, lieber auf solche Weise zu verschaffen als gänzlich auf sie zu verzichten. Weil er aber in seinem Urteil nicht sagte, sie sei von Schuld freizusprechen, sondern eher sie als er selber sei von Schuld freizusprechen, sprach er ihr kein Lob für ihr Verhalten aus, bewertete es aber im Vergleich zu seinem eigenen Verhalten positiver, indem er nämlich ihren sehnlichen Wunsch, Nachkommen zu haben, der sie dazu verleitete, sich ihrem Schwiegervater hinzugeben, weniger stark verurteilte als seine eigene Gier nach einem sexuellen Abenteuer, die ihn so überwältigte, dass er sie als vermeintliche Dirne aufsuchte. So sagt man zu gewissen Menschen (cf. Ez. 16,52): Ihr habt Sodom zum Ort der Sittsamkeit gemacht, d.h. ihr habt so schwer gesündigt, dass Sodom im Vergleich zu euch als unschuldig erscheint. Und selbst wenn man die Szene so interpretieren müsste, dass die Frau von ihrem Schwiegervater nicht als, im Vergleich zu seiner eigenen, schlimmeren Tat, weniger schuldhaft, sondern als uneingeschränkt lobenswert bezeichnet würde, - wobei sie allerdings, zieht man das ewige Gesetz der Gerechtigkeit zu Rate, das die natürliche Ordnung nicht nur in den Körpern, sondern in ganz besonderem Masse und vorrangig in den Seelen, zu stören verbietet (656,19), zu Recht als tadelnswert erscheint, da sie bei der Zeugung ihrer Söhne die Ordnung der menschlichen Gesellschaft missachtet hat -, selbst dann also wäre nichts Erstaunliches daran, dass eine Sünderin von einem Sünder gelobt wird.
