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Denn jenes ewige Gesetz, welches die Erhaltung der Naturordnung gebietet, und deren Störung verbietet, hat gewissen menschlichen Handlungen eine Art Mittelstellung zwischen Gut und Bös eingeräumt, was bedeutet, dass sie, falls selbstherrlich ausgeführt, verdienterweise den Vorwurf der Vermessenheit, falls dagegen befehlsgemäss ausgeführt, zu Recht das Lob des Gehorsams empfangen. So entscheidend für die Naturordnung ist es, was von wem getan wird, und unter wessen Autorität jemand handelt. Wenn Abraham seinen Sohn von sich aus hätte opfern wollen (cf. Gen. 22,10), wäre er gewiss als Scheusal und Verrückter erschienen, da er es aber auf Befehl Gottes tat, erwies er sich als gläubiger und gottergebener Mann. Die Wahrheit selber spricht dies so deutlich aus (cf. Gen. 22,2), dass sogar Faustus, durch ihr Wort abgeschreckt, es nicht wagte, das Vorgehen Abrahams zu brandmarken, obwohl er gerade gegen ihn verzweifelt nach Anklagepunkten suchte und dabei sogar zu Lüge und Verleumdung griff; es sei denn, er hätte sich gar nicht an jene Tat Abrahams erinnert, die aber doch so prominent war, dass sie jedem, selbst wenn er die Stelle weder gelesen noch untersucht hatte, gegenwärtig sein musste, ja dass sie, da in so vielen Sprachen besungen, an so vielen Orten abgebildet, auch die Augen und Ohren derer erreichte, die von ihr nichts wissen wollten. Wenn nun also die Tötung des eigenen Sohnes als verabscheuungswürdige Tat gilt, falls sie aus innerem Antrieb erfolgt, dagegen als nicht schuldhaft, ja gar als lobenswert, falls sie in gehorsamer Erfüllung eines Befehls Gottes erfolgt, was sollen da, Faustus, deine Vorwürfe an Moses, er habe die Ägypter ausgeplündert? Wenn dich die vermeintliche Ruchlosigkeit des menschlichen Täters dazu verleitet, sollte dich die Autorität des göttlichen Befehlsgebers davon abhalten. Oder bist du etwa bereit, sogar Gott selber an den Pranger zu stellen, weil er solche Dinge veranlasste? Wohlan denn, weg von mir, Satan, denn du denkst nicht was Gott will, sondern was die Menschen wollten! (Mt. 16,23). O wärest du doch wie Petrus dieser Worte für würdig befunden worden, und hättest später das als Botschaft verkündigt, was du jetzt mit deinem bescheidenen Urteilsvermögen an Gott kritisierst, so wie jener später den Völkern als glanzvolle Glaubensbotschaft überbrachte, was ihm zuvor, als es der Herr mit sich geschehen lassen wollte (ib. 22), missfallen hatte.
