28.
Das Handeln des Menschen, das im Dienst des Glaubens, der Gott dient, steht, zügelt also alle vergänglichen Freuden, und schränkt sie auf das natürliche Mass ein, indem es in ordnungsgemässer Abstufung der Liebe die höheren Güter den niedrigeren vorzieht. Wenn nämlich das Unerlaubte überhaupt keine Verlockung wäre, würde niemand sündigen. Es sündigt also, wer der Freude am Unerlaubten freien Lauf lässt statt sie zu zügeln. Unerlaubt aber ist, was jenes Gesetz verbietet, durch das die natürliche Ordnung aufrechterhalten wird. Ob es aber überhaupt ein vernunftbegabtes Geschöpf gibt, das sich durch nichts Unerlaubtes verlocken liesse, dies ist eine umstrittene Frage. Wenn es das gibt, dann gehört der Mensch nicht in diese Kategorie der Schöpfung, auch nicht jene Engelsnatur, die nicht in der Wahrheit verharrte; diese beiden vernunftbegabten Wesen gehören vielmehr zu jener Kategorie der Schöpfung, die zwar die Fähigkeit besass, die Freude am Unerlaubten zu zügeln, diese aber nicht zügelte und deshalb sündigte. Gross ist daher auch der Mensch unter den Geschöpfen, da er ja durch eben jenes Vermögen erneuert wird, das ihn vor dem Fall bewahrt hätte, wenn er es gewollt hätte. Gross ist also der Herr und hoch zu preisen (Ps. 48,2; 95,4; 144,3), der es geschaffen hat. Denn er schuf ja auch niedrigere Wesen, die nicht sündigen können, und er schuf auch vollkommenere Wesen, die nicht sündigen wollen. Denn die tierische Natur sündigt nicht, da sie ja in keiner Weise gegen das göttliche Gesetz verstossen kann, dem sie so sehr unterworfen ist, dass sie keinen Anteil an ihm haben kann. Die erhabene Engelsnatur wiederum sündigt nicht, da sie ja so sehr Teil hat am ewigen Gesetz, dass einzig Gott ihr Freude bereitet, dessen Willen sie gehorcht, ohne je die Versuchung erfahren zu haben. Der Mensch aber, dessen Leben auf Erden, weil er sündigen kann, eine einzige Versuchung ist (cf. Iob 7,1), soll sich selber untertan machen, was er mit den Tieren gemeinsam hat, und er soll Gott untertan machen, was er mit den Engeln gemeinsam hat, bis er nach Vollendung und Empfang der Gerechtigkeit und der Unvergänglichkeit gegenüber dem Tier erhöht, gegenüber den Engeln gleichgestellt sein wird.
