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Aber es ist doch, so lautet der Einwand, in keiner Weise glaubhaft, dass der wahre und gute Gott solches befohlen hat. Im Gegenteil, niemand anders hat das Recht, solches zu befehlen, als der wahre und gute Gott, der auch als einziger weiss, was einem jeden zu befehlen ist, und der als einziger niemanden Unangemessenes erdulden lässt. Im übrigen würde diese törichte und falsche Gutherzigkeit menschlichen Denkens auch Christus widersprechen, der im Gleichnis (cf. Mt. 13,24-30) nicht erzählen dürfte, dass die Gottlosen auf Befehl Gottes Schlimmes erleiden, wenn dieser zu den Engeln sagen wird (ib. 30): Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel zum Verbrennen, nachdem er vorher noch seine Knechte, die eben dies zur Unzeit tun wollten, mit den Worten daran gehindert hatte (ib. 29): Sonst reisst ihr, wenn ihr das Unkraut einsammeln wollt, gleichzeitig auch den Weizen aus. So weiss also allein der wahre und gute Gott, was, wann, wem und durch wen einem jeden - auf seinen Befehl oder seine Einwilligung hin - widerfahren soll. Und auch da hätte diese Gutherzigkeit des Menschen – besser würde man Anmassung sagen – Einspruch gegen den Herrn erheben können, wenn er dem verwerflichen Wunsch der Dämonen, die in die Schweine hineinfahren wollten und ihn um die Erlaubnis baten, stattgab (cf. 8,31 f.), zumal ja die Manichäer überzeugt sind, dass nicht nur die Schweine, sondern sogar winzige und schäbige Tierchen eine menschliche Seele besitzen. Aber auch wenn man diese Torheit missbilligt und verwirft, so steht doch fest, dass unser Herr Jesus Christus, der einzige Sohn Gottes und deshalb wahrer und guter Gott, auf Wunsch der Dämonen den Tod einer fremden Viehherde, somit den Untergang beliebiger Lebewesen und den schweren materiellen Verlust von Menschen zugelassen hat. Wer aber wäre so völlig von Sinnen und würde behaupten, Christus hätte die Dämonen nicht aus den Menschen vertreiben können, ohne ihnen gleichzeitig auf ihren verwerflichen Wunsch hin die Vernichtung der Schweine zu überlassen! Da nun also der Schöpfer und Ordner aller geschaffenen Wesen mit seiner - uns zwar verborgenen, doch jederzeit gerechten - lenkenden Hand sogar dem Verlangen jener verdammten und schon für das ewige Feuer bestimmten Geister – mag es noch so grausam und unrecht gewesen sein – freien Lauf liess, was ist daran Anstoss zu nehmen, wenn die Ägypter, die sich als harte Herren gebärdeten, von den Hebräern, die freie Menschen waren, denen jene obendrein noch den Lohn für ihren so harten und ungerechten Frondienst schuldeten, verdientermassen irdischer Dinge beraubt wurden, die sie zudem in gotteslästerlichem Kult zur Beleidigung des Schöpfers missbrauchten? Wenn freilich Moses dies von sich aus befohlen, oder die Hebräer es von sich aus getan hätten, dann hätten sie sich in der Tat schuldig gemacht, wobei sie sich vielleicht doch schuldig machten, allerdings nicht dadurch, dass sie taten, was Gott befohlen oder erlaubt hatte, sondern dadurch, dass sie nach solchen Schätzen gierten. Wenn aber diese Erlaubnis im göttlichen Heilsplan begründet war, dann wurde ihnen die Tat durch den gerechten und guten Ratschluss dessen erlaubt, der es versteht, Übeltäter durch Strafen zu zügeln, Fügsame zu erziehen, robusteren Charakteren stärkere Vorschriften zu erteilen, schwächeren dagegen gewissermassen homöopathische Dosen zu verabreichen. Moses aber ist weder Begierlichkeit vorzuwerfen, als hätte er nach jenen Schätzen gelechzt, noch Verbohrtheit, als hätte er irgendwelche Befehle Gottes missachtet.
