4. Kapitel
Ach, welche Qualen habe ich jetzt zu leiden, teuerste Brüder, daß ich gegenwärtig nicht persönlich zu S. 138 euch kommen kann, daß ich nicht selbst vor jeden einzelnen hintreten, nicht selbst euch auf Grund der Lehre des Herrn und seines Evangeliums zu ermahnen vermag! Noch nicht genügte die nun schon zweijährige1 Verbannung und die traurige Trennung von eurem Angesicht und euren Augen, noch nicht das beständige Leid und Seufzen, das mich in meiner Einsamkeit fern von euch in fortwährendem Jammer quält, nicht die Tag und Nacht hervorquellenden Tränen, weil es dem Bischof, den ihr mit solcher Liebe und solchem Eifer erkoren habt, immer noch nicht, euch zu begrüßen, immer noch nicht, in euren Armen zu liegen, vergönnt ist. Zu unserem Herzenskummer kam noch der größere Schmerz darüber, daß ich trotz solcher Aufregung und Not nicht selbst zu euch eilen kann, da wir infolge der Drohungen und Nachstellungen der Treulosen fürchten müssen, es möchte bei unserer Ankunft bei euch ein noch größerer Aufruhr sich erheben und es so aussehen, als ob der Bischof, der doch allewegen auf Frieden und Ruhe bedacht sein muß, gar selbst der Empörung Nahrung gegeben und die Verfolgung von neuem entfesselt habe. Doch gerade deshalb, geliebteste Brüder, gerade deshalb rate ich euch dringend: Glaubet nicht so ohne weiteres den verderblichen Stimmen, stimmt nicht so leichthin den trügerischen Worten zu, wählet nicht statt des Lichtes die Finsternis, statt des Tages die Nacht, statt der Speise den Hunger, statt des Trankes den Durst, nicht das Gift statt der Arznei, nicht den Tod statt des Lebens! Laßt euch auch nicht durch die Jahre und das Ansehen derer täuschen, die mit der alten Verkommenheit jener beiden Ältesten2 wetteifern; denn ebenso, wie jene die keusche Susanna verführen und entehren wollten, so suchen auch sie mit ihren S. 139 buhlerischen Lehren die Reinheit der Kirche zu beflecken und die Wahrheit des Evangeliums zu verletzen.
Bei Cyprians Rückkehr nach Ostern 251 waren etwa 15 Monate seit seiner Flucht aus Karthago verflossen. ↩
Das Wort ‚presbyteri‘, das Cyprian hier verwendet und das nicht nur ‚Greise‘ sondern auch ‚Priester‘ bedeuten kann, enthält somit zugleich eine Anspielung auf die Widersacher des Bischofs. ― Vgl. Dan. 13. ↩
