4. Kapitel
S. 294 Auch diese Sitte geht, wie wir sehen, auf eine göttliche Weisung zurück, daß der Bischof in Gegenwart des Volkes vor aller Augen erwählt und durch öffentliches Urteil und Zeugnis als würdig und geeignet anerkannt wird. Denn so gebietet im Buche Numeri der Herr dem Moses und sagt: „Nimm Aaron, deinen Bruder, und Eleazar, seinen Sohn, und stelle sie auf den Berg vor der ganzen Gemeinde und ziehe Aaron sein Gewand aus und lege es seinem Sohne Eleazar an, und Aaron soll sich hinlegen und dort sterben1!“ Vor der ganzen Gemeinde, so befiehlt der Herr, soll der Hohepriester aufgestellt werden, das heißt: er lehrt und zeigt, daß die Einsetzung von Priestern nur im Einverständnis mit dem dabei anwesenden Volk erfolgen darf, damit in Gegenwart der Gemeinde die Missetaten der Bösen aufgedeckt oder die Verdienste der Guten gepriesen werden und eine rechtmäßige und gesetzliche Ernennung zustande kommt, die durch Abstimmung und Urteil der Gesamtheit geprüft ist. Diese Sitte wird entsprechend der göttlichen Lehre auch später in der Apostelgeschichte beobachtet, wo Petrus über die Einsetzung eines Bischofs an Stelle des Judas zur Gemeinde spricht. „Es erhob sich“, heißt es da, „Petrus inmitten der Jünger; es war aber die ganze Schar beisammen2.“ Und nicht nur bei der Einsetzung der Bischöfe und Priester, sondern auch bei der Ernennung von Diakonen haben die Apostel, wie wir sehen, diese Regel beobachtet, worüber gleichfalls in der Apostelgeschichte berichtet ist. „Und jene Zwölf“, heißt es, „riefen die ganze Gemeinde der Jünger zusammen und sprachen zu ihnen3.“ Dabei verhandelte man doch jedenfalls nur deshalb so gewissenhaft und vorsichtig vor der ganzen versammelten Gemeinde, damit ja kein Unwürdiger in den Dienst des Altars oder in die Stellung eines Bischofs sich einschleichen könne. Denn daß bisweilen auch Unwürdige keineswegs nach Gottes Willen, sondern S. 295 infolge menschlicher Anmaßung eingesetzt werden und daß all das, was nicht aus einer gesetzlichen und rechtmäßigen Wahl hervorgeht, Gott mißfällt, das gibt er selbst deutlich kund, indem er durch den Mund des Propheten Osee spricht: „Sich selbst haben sie einen König aufgestellt und nicht durch mich4.“
