6. Kapitel
Siehe, eine andere Freude für uns ist es, daß du es in der Ausübung deines Bischofsamtes, obwohl du einstweilen von den Brüdern in Anbetracht der Zeitumstände getrennt bist, dennoch nicht an dir hast fehlen lassen, daß du die Bekenner häufig durch Briefe gestärkt, daß du sogar die nötigen Mittel aus deinen redlichen Bemühungen gespendet, daß du in allen Fällen immer sozusagen dich gegenwärtig gezeigt und auf keinem Gebiet deiner Obliegenheiten wie irgendein Ausreißer1 dich lahm erwiesen hast. Was uns aber noch mächtiger zu noch größerer Freude begeistert hat, können wir nicht verschweigen, sondern wir müssen es mit lauter Stimme offen bezeugen: wir erfuhren nämlich, daß du mit entsprechender Rüge verdientermaßen nicht nur diejenigen zurechtgewiesen hast, die ihre Vergehungen ganz S. 104 vergaßen und während deiner Abwesenheit in eilfertiger und überstürzter Hast von den Presbytern den Frieden erzwangen, sondern auch jene, die ohne Rücksicht auf das Evangelium das Heiligtum des Herrn und die Perlen2 in willfährigem Entgegenkommen verschenkten. Denn ein so schweres Verbrechen, das fast über den ganzen Erdkreis hin unglaubliche Verheerungen angerichtet hat, darf man, wie du selbst schreibst, nur mit Vorsicht und Mäßigung behandeln unter Beiziehung aller Bischöfe, Presbyter, Diakonen und Bekenner, sowie auch der standhaft gebliebenen Laien, wie du ebenfalls in deinem Briefe bezeugst. Sonst könnten wir leicht, während wir auf ungeschickte Weise den Zusammengebrochenen zu Hilfe kommen wollen, einen neuen, noch größeren Zusammenbruch heraufbeschwören. Denn wo wird noch die Furcht Gottes zu finden sein, wenn den Sündern so leichthin Verzeihung gewährt wird? Wohl aber gilt es, ihr Gemüt zu hegen und bis zum richtigen Zeitpunkt ihrer Reife zu pflegen und sie aus der Heiligen Schrift darüber zu belehren, daß sie eine ungeheure und alles überragende Sünde begangen haben. Auch sollen sie sich durch ihre große Zahl nicht etwa ermutigen lassen, sondern gerade der Umstand soll ihnen noch mehr Einhalt gebieten, daß es sich nicht nur um einige wenige handelt! Die Schamlosigkeit einer großen Zahl trägt gewöhnlich nichts dazu bei, die Schuld abzuschwächen, wohl aber die Scham, die Bescheidenheit, die Buße, die Zucht, die Demut und Unterwerfung, wohl aber das Abwarten des fremden Urteils über sich und das geduldige Hinnehmen des fremden Richterspruches über die eigene Handlungsweise. Das ist das Zeichen der wahren Buße, das ist es, was die geschlagene Wunde wieder vernarben läßt, das ist es, was das niedergeschlagene Gemüt von seinem Fall wieder aufrichtet und erhebt, was die brennende Fieberglut der lodernden Sünden löscht und stillt. Denn das, was gesunden Körpern bekommt, wird der Arzt nicht den Kranken verschreiben, sonst würde die verkehrte Speise den Sturm der wütenden Krankheit nur noch S. 105 mehr entfachen, statt ihn zu unterdrücken; das Übel, das durch abmagerndes Fasten vielleicht in Bälde hätte geheilt werden können, würde ja infolge der durch die Ungeduld hervorgerufenen Verdauungsstörung nur noch länger hinausgezogen werden.
