12. Kapitel
Du hast mich auch, teuerster Sohn, nach meiner Ansicht über jene gefragt, die in Krankheit und Siechtum die Gnade Gottes erlangen, und möchtest wissen, ob man sie als richtige Christen betrachten kann, weil sie mit dem heilbringenden Wasser nicht gewaschen, sondern nur Übergossen worden sind. In dieser Beziehung möchten wir jedoch aus zurückhaltender Bescheidenheit niemand vorgreifen, sondern jeder soll nach seiner Meinung entscheiden und nach seiner Entscheidung handeln. Was die Auffassung unserer Wenigkeit betrifft, so sind wir der Ansicht: die göttliche Wohltaten können in nichts verkürzt und abgeschwächt werden, und es kann unmöglich da irgendeine Minderung eintreten, wo man das, was man aus der göttlichen Gnade schöpft, mit vollem und ganzem Glauben auf Seiten des Gebenden wie des Nehmenden gespendet erhält. Denn im heilbringenden Sakrament werden ja die verderblichen Sünden nicht etwa ebenso abgewaschen wie der Schmutz an Haut und Körper bei einem leiblichen und weltlichen Bad, wo man erst Salpeter und noch andere Mittel und eine Wanne und einen großen Wasserbehälter braucht, um den armseligen Körper abwaschen und reinigen zu können. Ganz anders wird das Herz des Gläubigen gewaschen, ganz anders die Seele des Menschen durch die Verdienste des Glaubens gereinigt. Wenn die Not drängt und Gott seine Gnade spendet, so läßt er den Gläubigen bei den heilbringenden Sakramenten alles auf einmal zuteil werden. Auch braucht sich niemand daran zu stoßen, daß die Kranken besprengt oder begossen werden, wenn sie die Gnade des Herrn erlangen. Spricht und sagt doch die Heilige Schrift durch den Mund des Propheten Ezechiel: „Und ich werde reines Wasser über euch sprengen, und ihr werdet gereinigt von all eurer Unreinigkeit und von allen euren Götzen. Und ich werde euch reinigen und euch ein neues Herz geben und einen S. 318 neuen Geist in euch legen1.“ Ebenso heißt es im Buch Numeri: „Und der Mensch, der unrein gewesen ist bis zum Abend, dieser wird gereinigt werden am dritten Tage und am siebenten Tage, und er wird rein sein. Wenn er aber nicht gereinigt worden ist am dritten Tage und am siebenten Tage, so wird er nicht rein sein, und jene Seele wird ausgerottet werden aus Israel, weil das Wasser der Besprengung nicht über ihn gesprengt worden ist2.“ Und abermals: „Und der Herr redete zu Moses und sprach: Nimm die Leviten aus der Mitte der Söhne Israels und reinige sie! Und also wirst du ihre Reinigung vornehmen: du sollst um sie sprengen Wasser der Reinigung3!“ Und wiederum: „Das Wasser der Besprengung ist die Reinigung4.“ Daraus geht hervor, daß auch die Besprengung mit Wasser das gleiche bedeutet wie das heilbringende Bad und daß alles in Ordnung ist und durch die Majestät des Herrn und die Wahrheit des Glaubens vollbracht und vollendet werden kann, wenn dies alles in der Kirche geschieht, wo der Glaube sowohl des Empfängers wie des Spenders unversehrt ist.
