108. Brief — An Pater Hieronymus Gracián
Toledo, am 5. September 1576
Wahl des Doktor Velásquez zu ihrem Seelenführer während ihres Aufenthaltes in Toledo.
... Ich will Ihnen hier eine Mitteilung machen, weil der Bote so verlässig ist, daß ich es wagen darf. Sie wissen schon, daß Angela den Prior von la Sisla erwählt hat; denn sie kann nun einmal, glauben Sie es, eines Ratgebers nicht entbehren, den sie in vielen Dingen notwendig hat, um darin das Rechte zu treffen und ruhig sein zu können. Dieser Prior kam früher oft, um sie zu besuchen; seitdem sie ihn aber zum Beichtvater genommen, fast nie mehr. Die Priorin und ich konnten sich die Ursache dieser Veränderung nicht recht erklären. Als sich nun einmal die betrübte Angela in einer Unterredung mit Joseph befand, sagte ihr dieser, er selbst halte jenen ab; denn der Doktor Velásquez, der ein sehr gelehrter Kanonikus hier ist, sei geeigneter für sie. Bei ihm werde sie Trost finden. Er selbst werde auf ihn einwirken, daß er sie anhöre und verstehe. Es war nämlich zweifelhaft, ob er sich wegen seiner vielen Geschäfte um sie annehmen werde. Weil nun, wie Euere Paternität wissen, Joseph eine so hohe Autorität ist und weil Angela bei dergleichen Ratschlägen immer folgte, so wußte sie nicht, was sie tun sollte; denn einerseits hatte sie sich schon dem Prior, dem sie so vieles verdankt, anvertraut, andererseits aber fürchtete sie, den Joseph zu beleidigen.
In dieser Ratlosigkeit brachte sie einige Tage zu, und es war ihr leid, daß sie Euere Paternität nicht um Ihr Gutachten befragen konnte. Sie fürchtete auch, der neue Ratgeber könnte sie in Unruhe versetzen, und scheute es, sich mit so vielen zu besprechen. Da kam der Pater Salazar hieher, und sie entschloß sich zu tun, was dieser ihr sagen würde, obwohl ihr der Wechsel schwer fiel und sie sich bald über Joseph beklagt hätte, daß er sie nicht zuvor aufmerksam gemacht habe. Dem Pater Salazar sagte sie alles, was vorgefallen war. Als er früher einmal nach Toledo gekommen war, hatte er ihr den Rat gegeben, sie solle sich an den Prior von la Sisla wenden. Mit dem Pater Salazar kann sie, wie Euere Paternität wissen, über alles reden, denn er weiß schon alles. Dieser befahl ihr zu tun, was Joseph ihr rate, und so ist es auch geschehen. Die Worte Josephs aber haben sich als vollkommen wahr erwiesen. Denn als der Prior darauf ins Kloster kam, fragte ihn die Priorin um den Grund seines Fernbleibens. Er antwortete ihr, daß er selbst nicht wisse, was das sei. Obwohl er nichts so sehr wünsche, als oft zu kommen, und er recht gut einsehe, daß er dieses sein Nichtkommen noch bereuen werde, so wäre er hierin doch nicht Herr über sich selbst und könne nicht anders. Er sei darüber sehr erstaunt, allein er sei einmal hierin nicht Herr über sich.
Bei dem anderen bedurfte es weiter nichts, als daß ich ihn ersuchte. Er bemerkte, er wolle jede Woche kommen, wenn er auch noch so viele Geschäfte habe; dies sagte er mit einer Freude, als ob ihm das Erzbistum von Toledo angeboten worden wäre. Ja, ich glaube, es hätte ihn dies nicht so sehr gefreut, so gut ist er. Pater Ferdinand de Medina wird Ihnen Näheres berichten; vergessen Sie nicht, ihn darüber zu befragen. Damit Sie sehen, wie er die Sache auffaßt, sende ich Ihnen beiliegendes Billet, das er mir schickte, als ich ihn einiger Zweifel wegen rufen ließ, die sich jedoch nicht auf das Gebet bezogen. Weil es zu weitläufig wäre, so will ich weiter davon nichts reden.
So ist, mein Vater, Angela ganz zufrieden, nachdem sie schon einmal bei ihm gebeichtet hat. Sie ist um soviel glücklicher, als ihre Seele, seit sie den Paulus kennengelernt, bei keinem anderen Erleichterung und Ruhe gefunden hatte; jetzt ist sie ruhig und zufrieden und fühlt sich zur Unterwerfung unter den Gehorsam geneigt, wenn auch nicht in dem Maße wie bei Ihnen. Dies bereitet ihr den größten Trost; denn da sie ihr ganzes Leben lang an den Gehorsam gewöhnt war, so konnte sie in allem, was sie tat, keine Beruhigung mehr finden, seitdem sie den Paulus nicht mehr hatte. Sie meinte nur, nicht das Rechte zu tun, und wenn sie auch einem anderen sich unterwerfen wollte, so war sie dazu nicht imstande. Glauben Sie es, daß jener, der das eine tat, auch das andere so gefügt hat. Auch sie ist erstaunt über das bisherige, ihr ganz neue Unvermögen, wie der Prior darüber verwundert war, daß es nicht in seiner Macht lag zu tun, was er selber wollte.
Euere Paternität dürfen sich recht über diesen Vorgang freuen, wenn Sie der Angela einigen Trost gewähren wollen. Sie vermißt ohnehin schon genug, daß sie ihn nicht in so vollem Maße genießt wie bei Paulus, wenn auch ihre Seele sich leichter fühlt. Ihrem neuen Führer war die Freundschaft zwischen Joseph und ihr nicht unbekannt; denn er hatte schon viel davon gehört, und es bringt ihn nichts außer Fassung. Weil er so gelehrt ist, findet er für alles die Begründung in der Heiligen Schrift. Es ist dies ein großer Trost für diese arme Seele, die der Herr auf jegliche Weise von allem losgerissen hat, was sie liebt. Er sei gepriesen in Ewigkeit!
Jetzt müssen wir sehen, daß wir in gutem Einvernehmen mit dem Prior von la Sisla bleiben. Er darf sonst nichts merken, als daß man wegen seines Zögerns manchmal dem anderen beichtet. Schreiben mir Euere Paternität, daß Angela tun soll, was dieser ihr sagen wird, geradeso, als wenn Sie es ihr nahelegen würden, damit ihre Seele ein Verdienst davon hat. Denn ich versichere Sie, ihr Verlangen ist so groß und die Antriebe, etwas für Gott zu tun, sind so mächtig, daß sie ihm, weil es ihr nicht möglich ist, etwas Großes zu vollbringen, wenigstens in dem mehr zu gefallen suchen muß, was sie vermag.
Euerer Paternität unwürdige Dienerin und Tochter
Theresia von Jesu
