83. Brief — An Pater Hieronymus Gracián in Kastilien
Sevilla, am 27. September 1575
Das diesem Pater durch den Nuntius übertragene Amt eines Visitators.
Jhs
Die Gnade des Heiligen Geistes sei mit Ihnen, mein Vater!
Weil Euere Paternität wahrscheinlich schon auf dem Wege hieher sein werden und dieser Brief Sie nicht mehr in Madrid antreffen wird, so will ich mich kurz fassen. Gestern war der Provinzial der beschuhten Karmeliten mit einem Magister bei uns. Bald darauf kam auch der Prior, und etwas später ein anderer Magister. Tags zuvor war Pater Kaspar Nieto da. Ich finde sie alle bereit, Euerer Paternität Gehorsam zu leisten und Ihnen bei Abstellung jedweden Mißbrauches behilflich zu sein, wenn Sie nur nicht in anderen Stücken zu weit gehen. Ich versicherte sie, daß Euere Paternität, soweit ich Sie kenne, mit Milde verfahren werden, und sagte ihnen meine Ansicht.
Die Antwort, die sie auf das Motu proprio gegeben, hat mir nicht mißfallen. Ich hoffe zu unserem Herrn, es werde sich alles gut machen. Der Pater Elias ist der ruhigste und hat auch am meisten Mut. Ich glaube, daß Euere Paternität vieles erreichen werden, wenn Sie ohne Geräusch und Milde zu Werke gehen. Man muß nicht alles an einem Tage fertig haben wollen. Ich halte dafür, daß sich unter den Beschuhten in Andalusien in der Tat sehr vernünftige Männer befinden; möchten auch die in Kastilien so sein! Es soll Ihnen zur Kenntnis dienen, daß Makarius, nach dem, was ich erfahren, sehr grimmig ist, so daß ich um sein Seelenheil sehr bekümmert bin. Man schreibt mir, er werde sich nach Toledo begeben. Ich habe mir gedacht, er werde vielleicht sich in seine Höhle begeben, weil dort die Visitation schon vorüber ist, um mit meinem Eliseus nicht zusammenzutreffen. Möchte letzteres auch nicht geschehen, bis er wieder mehr bei Vernunft ist! Wahrhaftig, ich gerate sehr in Furcht, wenn ich gute Seelen in solche Täuschung fallen sehe.
Betreffs der Theresita befragte man den Doktor Henriquez, einen der tüchtigsten Gelehrten der Gesellschaft Jesu. Dieser sagt, daß unter anderen Entscheidungen des Kardinalkollegiums zur Erklärung des Konzils, die man ihm zugesendet, auch die folgende sei: Es dürfe keiner Person unter zwölf Jahren das Ordenskleid gegeben werden, zur Erziehung jedoch dürften solche im Kloster sich aufhalten. Dasselbe hat auch der Dominikaner, Pater Balthasar, gesagt. Theresita ist nun schon mit dem Habit im Kloster gleichsam wie ein kleiner Poltergeist des Hauses. Ihr Vater weiß sich nicht zu fassen vor Freude, und alle Schwestern haben großes Wohlgefallen an ihr. Sie ist sozusagen wie ein Engel. In den Rekreationsstunden weiß sie die Schwestern vortrefflich zu unterhalten; sie erzählt ihnen von den Amerikanern und vom Meere besser, als ich es könnte. Es hat mich gefreut, daß sie ihnen nicht zur Last fällt. Ich wünsche schon, daß Euere Paternität sie sehen. Gott hat ihr eine große Gnade erwiesen, und sie hat dies wohl Ihnen zu verdanken. Nach meiner Ansicht gereicht es zur Ehre Gottes, daß diese Seele nicht inmitten der Eitelkeiten der Welt erzogen wird. Ich erkenne nun die Liebe, die Euere Paternität mir erwiesen haben; denn abgesehen davon, daß diese ohnehin schon groß iß, erscheint sie mir jetzt noch viel größer, da Sie mich vor Gewissensbissen bewahrt haben.
Jetzt glaube ich wohl einige Liebe zu haben; denn so peinlich mir auch Ihre Abwesenheit ist, so wäre es doch eine Freude für mich, wenn Sie noch einen Monat länger ausbleiben für den Fall, daß man Ihnen das Kloster der Menschwerdung zur Visitation zuwiese und es dadurch gefördert werden würde. Schon acht Tage würden genügen, wenn Sie den Pater Johannes vom Kreuze als Vikar dort ließen. Ich weiß genau, wie es mit diesem Kloster steht; sobald diese Nonnen ein Oberhaupt sehen, ergeben sie sich gleich, wenn sie auch anfangs viel Lärm dagegen erheben. Sie dauern mich sehr, und wenn der Nuntius ein großes Werk vollbringen will, so muß er auf diese Weise vorgehen. Gott wolle dort Hilfe schaffen! Denn er kann es.
Es ist jetzt bei Laurentia bezüglich ihrer Beichtväter nicht mehr so wie einstmals. Früher fand sie bei ihnen all ihren Trost, jetzt gar keinen mehr. In welch feiner Weise weiß unser Herr sie doch abzutöten! Sie fürchtet, sie werde die Leitung des Beichtvaters, den ihr der Herr gegeben, wenig genießen können wegen der vielen Schwierigkeiten, in denen er sich befindet.
Wir haben hier jetzt noch eine Hitze wie in Kastilien im Monat Juni, ja sie ist noch größer. Euere Paternität haben gut getan, daß Sie Ihre Reise hieher verschoben haben. Dem guten Padilla habe ich wegen des Klosters der Menschwerdung geschrieben. Ich bitte Sie, dies meinem Vater Olea sagen und ihm einen freundlichen Gruß von mir melden zu wollen. Drei Briefe habe ich an ihn geschrieben; fragen Sie ihn, ob er sie erhalten hat. O Jesus, wie wenig wäre notwendig, um so vielen Seelen zu helfen! Ich staune, wie ich jetzt wünschen kann, Euere Paternität in diesen Mühseligkeiten zu sehen. Denn das ist eines von den Dingen, vor denen ich mich immer am meisten entsetzte. Jetzt kann ich es leichter ertragen. Gott leihe dazu seine Hand und erhalte Euere Paternität.
Heute ist der 27. September.
Euerer Paternität unwürdige Dienerin und Untergebene
Theresia von Jesu
