285. Brief — An die Mutter Maria vom heiligen Joseph in Sevilla
Ávila, am 24. Juni 1579
Tugend des Paters Nikolaus. Aufforderung zur Annahme des Priorats, das man ihr abgenommen hatte.
Jhs
Die Gnade des Heiligen Geistes sei mit Euerer Ehrwürden, meine Tochter!
Ich weiß nicht, warum meine Töchter in Sevilla gerade jetzt, wo ich jeden Augenblick erfahren möchte, wie es ihnen geht, mir gegenüber vollständiges Stillschweigen beobachten. Ich versichere Sie, daß ich bezüglich dessen, was Ihr Kloster betrifft, nicht schweigen kann. Es diene Ihnen zur Kenntnis, daß Pater Nikolaus hier ist. Er ist jetzt zum Prior von Pastrana ernannt worden und kam zu mir zum Besuche. Die Unterredung mit ihm war für mich ein großer Trost, und ich habe den Herrn dafür gepriesen, daß er unserem Orden einen so verdienstvollen und tugendhaften Mann geschenkt hat. Es scheint, daß Seine Majestät sich seiner bedient hat, um die Verhältnisse in Ihrem Kloster wieder in Ordnung zu bringen, da er für Sie so vieles erduldet und ausgestanden hat. Empfehlen Sie ihn alle recht inständig dem Herrn! Denn Sie sind es ihm schuldig.
Lassen Sie doch, meine Tochter, endlich einmal ab von Ihren falschen Vorstellungen über die Vollkommenheit, die darin bestehen, daß Sie das Priorat nicht mehr annehmen wollen! Wir alle wünschen es und arbeiten darauf hin, daß Sie wieder Priorin werden, und Sie befassen sich mit Kindereien; denn Ihre Einwendungen sind ja in der Tat nichts anderes. Es ist dies keineswegs eine Privatsache, die nur Sie allein betrifft, sondern vielmehr eine Angelegenheit des ganzen Ordens; weil damit Gott so sehr gedient wird, so wünschte ich, sie wäre schon erledigt. Zudem ist dabei auch die Ehre Ihres Klosters und des Paters Gracián mit im Spiele. Selbst wenn Sie zu diesem Amte ganz untauglich wären, dürften Sie sich nicht weigern, vielmehr müßten Sie es annehmen, da wir, wie das Sprichwort sagt, mangels fähiger Leute keine bessere haben. Wenn uns also Gott diese Gnade erweist [und die Wahl auf Sie lenkt], so müssen Sie stillschweigend gehorchen und dürfen kein Wort der Widerrede verlauten lassen; sonst würden Sie mich sehr betrüben. Was Sie schon gesagt haben, genügt, um uns zu überzeugen, daß Sie dieses Amt nicht wünschen. Wer selbst schon Erfahrung besitzt, dem braucht man es nicht zu sagen, um zur Einsicht zu kommen, welch schweres Kreuz man sich damit aufladet. Gott wird Ihnen beistehen; zudem ist jetzt der Sturm vorüber.
Ich möchte gerne wissen, ob die beiden Nonnen zur Einsicht gekommen oder ob sie noch etwas widerspenstig sind, und wie es ihnen geht; denn ich bin in betreff ihres Seelenzustandes sehr in Angst. Berichten Sie mir doch um der Liebe willen dies alles in ausführlicher Weise. Sie dürfen Ihre Briefe nur durch den Erzbischof an Rochus de Huerta senden, der sie dann an meinen jeweiligen Aufenthaltsort gelangen lassen wird.
Die Schwester Elisabeth vom heiligen Paulus wird am Ende
dieses Briefes alles schreiben, was hier vorgeht, da ich dazu keine Zeit habe.
An meine Tochter Blanka viele Empfehlungen! Ich bin mit ihr sehr zufrieden und ihrem Vater und ihrer Mutter überaus verbunden für die vielen Dienste, die sie Euerer Ehrwürden erwiesen. Danken Sie ihnen in meinem Namen! Alles, was sich in Ihrem Kloster ereignet hat, ist, ich versichere Sie, eine Geschichte, über die ich staunen muß; ich wünschte nur, daß die Schwestern dies alles mit voller Klarheit und Wahrheit aufzeichnen würden. Für jetzt bitte ich um ganz genauen Bericht, wie die erwähnten Schwestern sich verhalten; denn ich bin, wie gesagt, um sie sehr bekümmert.
Grüßen Sie mir recht freundlich alle Schwestern! Die Mutter Vikarin möge diesen Brief als an sie selber geschrieben ansehen. Meiner Gabriela empfehlen Sie mich ganz besonders! Ich kann noch nicht verstehen, wie sich die Schwester vom heiligen Franziskus bei diesen Schwierigkeiten benommen hat.
Eben ruft man mich [ins Sprechzimmer] zu Pater Nikolaus, und morgen reise ich nach Valladolid. Unser Pater Generalvikar hat mir nämlich den ausdrücklichen Befehl zugehen lassen, mich sogleich dorthin zu begeben und von da nach Salamanka zu reisen. Meine Anwesenheit in Valladolid würde wohl nicht so notwendig sein, allein Doña Maria und der Bischof haben den Vikar darum ersucht. In Salamanka dagegen steht die Sache anders, und dort ist die Not groß; denn die dortigen Schwestern wohnen in dem ungesunden Hause und haben noch dazu von seiten des Verkäufers vieles auszustehen. Dieser verbittern ihnen das Leben und stellt jeden Tag neue Anforderungen an sie. Kurz, er hat ihnen schon viele Leiden bereitet, die sich ohne Unterlaß wiederholen. Bitten Sie unseren Herrn, daß ein gutes Haus, und zwar um billigen Preis, gekauft werden könne. Seine Majestät erhalte Sie, meine Tochter, und gestatte mir, Sie noch einmal zu sehen, bevor ich sterbe!
Heute ist der 24. Juni.
Ich reise morgen ab. Meine Geschäfte sind so dringend, daß ich keine Zeit mehr habe, an meine Töchter in Sevilla zu schreiben noch auch mich weiter zu verbreiten. Teilen Sie mir mit, ob sie einen Brief von mir erhalten haben!
Euerer Ehrwürden unwürdige Dienerin
Theresia von Jesu
Anschrift: An die Mutter Maria vom heiligen Joseph im Kloster der unbeschuhten Karmelitinnen zu Sevilla.
