237. Brief — An Pater Gonzalo Dávila, Rektor der Gesellschaft Jesu in Ávila, Beichtvater der Heiligen
Ávila, im Juni 1578
Demütiges Selbstgeständnis. Einige Ratschläge.
Jesus sei mit Ihnen!
Seit langer Zeit hatte ich keinen solchen Anlaß mehr zur Abtötung wie heute beim Empfang Ihres Briefes. Denn ich bin noch nicht so demütig, daß ich es ertragen könnte, für so hoffärtig gehalten zu werden, Sie aber dürfen Ihre Demut nicht so sehr auf meine Kosten an den Tag legen. Noch nie hätte ich einen Brief von Ihrer Hand so gerne zerreißen mögen wie diesen. Ich versichere Sie, Sie verstehen es gut, mich abzutöten und mich zur Selbsterkenntnis zu führen, da Sie meinen, ich hätte die Ansicht, andere über mich belehren zu können. Gott bewahre mich davor! Dieser Gedanke soll mir ja nie in den Sinn kommen. Ich sehe wohl ein, daß die Schuld bei mir liegt; ich weiß jedoch nicht, ob nicht das Verlangen, Sie vollkommen zu sehen, dafür verantwortlich zu machen ist. Der Grund davon — ich wiederhole es — ist vielleicht eine kleine Schwäche von mir, die mich solche Torheiten vorbringen laßt, oder auch meine Liebe zu Ihnen, die mich antreibt, so freimütig zu Ihnen zu sprechen, ohne meine Worte genügend zu überlegen. Selbst nach meiner Unterhaltung mit Ihnen blieben mir einige Skrupel über gewisse Sachen. Müßte ich nicht fürchten, ungehorsam zu sein, so würde ich auf Ihren Befehl hin gar keine Antwort geben, so groß ist mein Widerstreben dagegen. Gott wolle dies annehmen! Amen.
Einer meiner großen Fehler besteht darin, daß ich in Sachen des Gebetes immer nach meiner eigenen Erfahrung hin urteile. Sie dürfen darum auf das, was ich Ihnen sage, kein Gewicht legen; denn Gott wird Ihnen sicherlich höhere Erleuchtung mitteilen als einer armseligen Frauensperson wie mir. Wenn ich die Gnade erwäge, die mir unser Herr dadurch erwiesen hat, daß ich seine Gegenwart so fühlbar genieße, und wenn ich andererseits die Menge der Geschäfte ins Auge fasse, die durch meine Hände gehen müssen, so finde ich, daß nichts, weder Verfolgungen noch Leiden, so sehr mich ablenken als ebendiese Angelegenheiten. Handelt es sich um eine Sache, die ich schnell erledigen kann, so trifft es sich manchmal, ja sehr häufig, daß ich mich erst um 1 oder 2 Uhr zu Bette begebe, damit nachher meine Seele frei von anderen Sorgen ungehinderter der Gegenwart Gottes sich hingeben kann. Meiner Gesundheit hat dies freilich geschadet, und darum fürchte ich, es möchte eine Versuchung sein, wiewohl die Seele, wie mir scheint, einer größeren Freiheit sich erfreut.
Ich komme mir vor wie einer, der ein sehr wichtiges und dringendes Geschäft hat; er erledigt schleunigst alle übrigen Arbeiten, damit sie ihn in dem nicht hindern, was er für das notwendigste hält. So freue ich mich, wenn ich irgendein Geschäft meinen Schwestern überlassen kann, obwohl es in gewisser Beziehung besser wäre, wenn ich es selbst erledigen würde. Sooft es aus dem angegebenen Grund nicht durch mich geschieht, ersetzt die göttliche Majestät das Mangelhafte, und ich schöpfe auffallenderweise um so mehr Nutzen für meine Seele, je mehr ich bemüht bin, mich von diesen Geschäften fernzuhalten. Ich sehe dies ganz klar ein, und doch achte ich sehr oft nicht darauf, merke aber den Schaden, der mir dadurch erwächst; ich könnte, wie ich wohl erkenne, immer mehr Sorgfalt auf diesen Punkt verwenden, und es würde viel besser mit mir stehen.
Das Gesagte gilt nicht von wichtigen Angelegenheiten, denen man sich nicht entziehen kann und worin ich ebenfalls manchmal fehlen mag. Ihre Geschäfte sind ohne Zweifel derart, und es wäre gefehlt, wenn Sie diese, wenigstens nach meiner Ansicht, durch andere verrichten ließen. Da ich aber weiß, daß Sie leidend sind, so wünschte ich, daß Sie weniger Arbeit hätten. Ich muß in der Tat unseren Herrn lobpreisen, wenn ich sehe, mit welchem Eifer Sie sich der Angelegenheiten Ihres Hauses annehmen; denn ich bin nicht so blind, daß ich die große Gnade, die Ihnen Gott durch diese Fähigkeit verlieh, und das große Verdienst, das Sie sich erwerben, nicht erkennen würde. Das erregt in mir großen Neid, und ich möchte gerne einen solchen Vorgesetzten wie Sie haben. Da Ihnen aber Gott wirklich meine Seele anvertraut hat, so wünschte ich, Sie möchten ihr ebensoviel Sorgfalt zuwenden wie dem Brunnen, den Sie im Kloster zu erhalten sich bemühen. Ich finde diesen Vergleich mit dem Brunnen sehr hübsch; denn ein Brunnen ist in Ihrem Kloster so notwendig, daß sich jede Mühe wohl lohnt, die Sie darauf verwenden.
Ich habe Ihnen nun weiter nichts mehr zu sagen. Ich habe gewiß mit Ihnen in aller Aufrichtigkeit wie mit Gott selbst gesprochen, und so bin ich überzeugt, daß der Obere, der alle seine Kräfte aufbietet, um sein Amt gut zu verwalten, Gott so angenehm ist, daß er in kurzer Zeit das von ihm empfängt, was er sonst erst nach langen Bemühungen erlangen würde. Ich weiß das ebensogut aus Erfahrung wie das eben Gesagte. Nur weil ich Sie immer so sehr mit Arbeiten überladen sehe, kam mir der Gedanke, mit Ihnen zu sprechen, wie ich es getan. Je mehr ich aber darüber nachdenke, desto klarer sehe ich, wie schon erwähnt, den Unterschied ein, der zwischen mir und Ihnen besteht.
Ich will mich (in Zukunft) bessern und Ihnen nicht mehr gleich meine ersten Eindrücke mitteilen, da mich dies teuer zu stehen kommt. Wenn ich Sie vollkommen sehe, wird meine Versuchung aufhören. Der Herr verleihe Ihnen diese Gnade, da er es vermag! Dies ist mein einziger Wunsch.
Ihre Dienerin
Theresia von Jesu
