243. Brief — An Rochus de Huerta
Ávila, im August 1578
Schilderung und Begründung der Berechtigung der durch Pater Gracián vorgenommenen Visitationen.
Als der vorige Nuntius gestorben war, hielten wir es für gewiß, daß mit seinem Tode die Vollmachten des Visitators erloschen seien. Als wir aber Theologen und Rechtsgelehrte von Alcalá, von Madrid und einige von Toledo zu Rate zogen, erklärten uns diese, daß dies nicht der Fall sei, weil die Visitation schon begonnen habe. Die Vollmachten seien in diesem Falle trotz des Todes des Nuntius nicht erloschen, da die Visitation noch nicht zu Ende geführt sei. Wäre sie noch nicht begonnen gewesen, so würden die Vollmachten mit dem Tode dessen, der sie gegeben, erloschen sein. Auch der Präsident Covarrubias sagte wiederholt zu Pater Gracián, er solle mit der Visitation fortfahren, bis sie vollendet sei. Hierin waren alle einig.
Als sodann der jetzige Nuntius gleich nach seiner Ankunft von Pater Gracián verlangte, ihm seine Vollmachten und die Visitationsprotokolle vorzulegen, wollte dieser alle seine Vollmachten als Kommissär abgeben. Da stellte man ihm vor, daß dies eine Beleidigung des Königs sei, da er auch von diesem den Auftrag zur Visitation erhalten hätte. Nun begab sich Pater Gracián zum Erzbischof und teilte ihm alle Vorgänge mit. Der Erzbischof gab ihm einen Beweis und hielt ihm vor, daß er weniger Mut habe als eine Fliege; er solle sich zum König begeben und über alles Bericht erstatten. Als Pater Gracián entgegnete, er halte dies aus Rücksicht auf den Nuntius für ungeziemend, erklärte ihm der Erzbischof, daß jeder ein Recht habe, sich an einen höheren zu wenden, und hieß ihn zum König gehen.
Nun befahl der König dem Pater Gracián, sich in sein Kloster zurückzuziehen mit dem Bemerken, daß er selbst die Sache untersuchen werde. Einige Theologen und unter ihnen der angehende Magister Romero, den ich hier selbst über diese Angelegenheit befragte, gaben folgenden Bescheid: Solange der Nuntius die Vollmachten nicht vorzeige, kraft welcher er im gegenwärtigen Falle Anordnungen treffe, sei Pater Gracián nicht gehalten, die Visitation zu unterlassen, und hierfür brachten sie viele Gründe vor. Bis dahin aber hatte er sie noch
nicht vorgezeigt, und auch bis jetzt ist dies nicht geschehen, es müßte denn erst in den letzten zehn Tagen der Fall gewesen sein; indessen weiß ich gewiß, daß er von seiten des Königs dazu aufgefordert worden ist.
Trotz all dieser Gutachten machte Pater Gracián ungefähr neun Monate lang keinen Gebrauch mehr von seinen Visitationsvollmachten, nicht einmal, um seinen Namen zu unterzeichnen. Dies tat er, obwohl er wußte, daß der Nuntius unter einem Eide aussagte, er habe dem Pater Gracián die Visitation nicht untersagt, was viele Zeugen bestätigen können. Der Nuntius selbst gab einem Ordensmann, der ihn ersuchte, dem Pater Gracián die Visitationsvollmacht zu entziehen, den Bescheid, es liege dies nicht in seiner Gewalt.
Nach diesen neun Monaten ließ der gegenwärtige Präsident des Königlichen Ratskollegiums den Pater Gracián zu sich rufen und gab ihm den Auftrag, die Visitation wieder fortzusetzen. Dieser nun bat inständig, ihm doch diesen Befehl nicht erteilen zu wollen; allein der Präsident erklärte ihm, daß dies der Wille Gottes und des Königs sei, der ihm selbst wider seinen Willen das Amt eines Präsidenten übertragen habe, und anderes mehr. Pater Gracián fragte ihn, ob er nicht zum Nuntius sich begeben solle, und der Präsident gab ihm zur Antwort: Nein, sondern er möge sich an ihn selbst wenden, wenn er etwas nötig haben sollte. Das Königliche Ratskollegium gab ihm hierauf noch mehrere Instruktionen, kraft welcher er sich überall zu seinem Schutze des weltlichen Armes bedienen konnte.
Man hatte immer geglaubt, daß der Nuntius nach dem, was man von ihm hörte, keine Vollmacht bezüglich der religiösen Orden habe. Und in der Tat hatte der Nuntius nichts mehr unternommen, nachdem der König darüber verdrießlich wurde, daß er so eilig, und ohne ihm davon Anzeige zu machen, gegen Pater Gracián vorging. Aus dem, was er jetzt tut, schließen wir, daß er besondere Vollmachten vom Papste erhalten habe; doch weiß man nichts davon, daß er sie dem Königlichen Ratskollegium oder sonst jemandem vorgezeigt habe.
Pater Gracián befand sich damals in sehr großer Verlegenheit. Hätte er sich an den Nuntius gewendet, ohne dem Befehle des Königs zu gehorchen, so würden wir alle die Gunst des letzteren verscherzt haben; denn der König ist es, der uns jetzt hält und sich beim Papste für uns verwendet. Andererseits wußte man gewiß, daß der Nuntius dahin wirkte, den Pater Tostado, einen beschuhten Karmeliten, zum Visitator zu ernennen; diesen hatte schon der General als seinen Vikar aufgestellt. Dieser Pater war, wie wir gleichfalls gewiß wußten, mit dem festen Entschluß gekommen, alle unsere Klöster aufzuheben; denn nach dem Beschlusse des Generalkapitels durfte man nur zwei oder drei bestehen lassen. Überdies verbot man den Unbeschuhten, Novizen aufzunehmen, und befahl ihnen, die gleiche Kleidung wie die Beschuhten zu tragen. Der Zweck, den Pater Gracián immer im Auge hatte, war nur der Fortbestand der Reform, und er hat nie eine Visitation ohne inneres Widerstreben vorgenommen.
Auch fiel es ihm sehr schwer, die Visitationsprotokolle über die Fehler der beschuhten Karmeliten Andalusiens auszuliefern, da ihm viele Mißbräuche unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut worden waren; er setzte sich daher der Gefahr aus, alle zu beunruhigen und viele in üblen Ruf zu bringen. Zudem wußte er nicht, ob der Nuntius der rechtmäßige Obere war, um Abhilfe zu schaffen, weil dieser nie gezeigt hatte, woher seine Vollmachten stammten.
Dies alles ist volle Wahrheit. Ich könnte noch andere Dinge anführen, woraus man, wenn man es wüßte, klar erkennen würde, in welch ungerechter Weise man in jenem Breve gegen Pater Gracián vorgegangen ist. Er hat nie etwas unternommen, ohne das Gutachten tüchtiger Theologen einzuholen; denn obwohl er selbst ein sehr gelehrter Mann ist, so läßt er sich doch nie von seiner eigenen Ansicht leiten. Daß der Nuntius seine Vollmachten nicht vorzeigt, ist, wie er sagt, etwas Neues in Spanien; denn noch immer haben die Nuntien ihre Vollmachten vorgezeigt.
Erwägen Sie, ob es nicht gut wäre, wenn man diese Angaben schön abgeschrieben nach Madrid schicken und sie einigen Personen unterbreiten würde!
Theresia von Jesu
