320. Brief — An Don Laurentius de Cepeda in la Serna bei Ávila
Toledo, am 10. April 1580
Empfehlung ihres Bruders Petrus de Ahumada, der infolge seines melancholischen Wesens das Haus seines Bruders Laurentius verlassen hatte. Ihre bevorstehende Reise nach Segovia.
Jhs
Die Gnade des Heiligen Geistes sei mit Ihnen!
Gott scheint, ich versichere Sie, zuzulassen, daß wir bezüglich dieses armen Mannes in dieser Weise versucht werden, damit wir erkennen, wie weit unsere Liebe zu ihm geht. Wahrhaftig, mein Bruder, meine Liebe zu ihm ist so schwach, daß ich darüber sehr betrübt bin; wäre er auch nicht mein Bruder, sondern nur mein Nächster, so sollte mir billigerweise sein Elend zu Herzen gehen, allein ich habe so wenig Mitleid. Um diese Herzensstimmung zu überwinden, bedenke ich immer sogleich, was ich zu tun habe, um Gott zu gefallen; wenn dann der Gedanke an Seine Majestät zwischen mich und meinen Bruder tritt, bin ich immer wieder bereit zur Übernahme jeglicher Überwindung für ihn. Ohne dieses Hilfsmittel würde ich, ich versichere Sie, seiner Reise nach Sevilla nichts in den Weg legen; denn mein Wunsch, ihn außer Ihrem Hause zu wissen, war so groß, daß jetzt die Freude darüber mein Mitleid mit seinem Elende weit übertrifft. So bitte ich Sie denn um der Liebe unseres Herrn willen, mir den Gefallen zu erweisen, daß Sie ihn nicht mehr in Ihr Haus aufnehmen! Lassen Sie sich weder durch seine Bitten noch durch seine Not bestimmen, ihn wieder zu sich zu nehmen, damit ich Ruhe habe! Der Gedanke, bei Ihnen zu sein, macht ihn in der Tat zu einem Narren, wenn er es auch in anderen Stücken nicht ist. Ich weiß von gelehrten Männern, daß dies sehr wohl der Fall sein kann. Dieser Zustand kommt nicht her von seinem Aufenthalt in Serna; denn schon bevor er daran dachte, dorthin sich zu begeben, war er so. Die Ursache davon ist allein seine schwere Krankheit, und ich befürchtete deshalb schon früher gar sehr ein Unheil.
Er gesteht zu, daß Sie mit Recht sehr verdrießlich sind; allein er behauptet, daß er nicht anders könne. Er sieht es gut ein, daß sein Verhalten nicht vernünftig ist, und das muß ihm selbst sehr schmerzlich fallen; er möchte, wie er sagt, lieber sterben, als in diesem Zustande verbleiben, in dem er sich befindet. Er ist bereits mit einem Maultiertreiber übereingekommen, daß er ihn morgen nach Sevilla bringe; allein ich weiß nicht, zu welchem Zweck er sich dorthin begeben will; denn in Anbetracht seines schlimmen Zustandes würde ein einziger heißer Sommertag auf der Reise genügen, ihn zu töten, zumal er schon mit Kopfschmerzen hier angekommen ist. In Sevilla aber könnte er nichts anderes beginnen, als sein Geld verbrauchen und dann um Gottes willen betteln gehen. Ich habe zwar gemeint, er würde an dem Bruder der Doña Mayor eine Stütze haben; allein dieser hat selbst nichts. Das beste schien mir darum zu sein, daß ich ihn um Gottes willen bestimmte, zu warten, bis eine Antwort von Ihnen auf diesen Brief ankäme. Er ist zwar der festen Überzeugung, daß dies nichts nützen werde; allein da er sein Elend einsieht, wartet er schließlich noch. Antworten Sie mir darum um der Liebe willen sogleich und senden Sie Ihren Brief an die Priorin von Ávila, der ich schon geschrieben habe, sie möchte mir den Brief gleich mit der ersten Botengelegenheit zusenden.
Die so plötzliche Traurigkeit, von der Sie mir schreiben, hat nach meinem Dafürhalten ihren Grund in der Abreise des Bruders. Gott ist sehr getreu. Ist Ihr Bruder in diesem Stücke wirklich ein Narr — und davon bin ich überzeugt —, so sind Sie um so mehr verpflichtet, nach Möglichkeit sich seiner anzunehmen; dies fordert wenigstens die Vollkommenheit, nach der Sie streben. Sie dürfen ihn nicht dahinsterben lassen, sondern müssen einige Ihrer gewöhnlichen Almosen unterlassen und sie ihm zuwenden; denn gegen ihn haben Sie eine größere Verpflichtung, da er Ihr Blutsverwandter ist! Außer diesem
haben Sie nach meiner Ansicht keinen Verpflichtungsgrund. Joseph (in Ägypten) hatte noch weniger Verpflichtungen seinen Brüdern gegenüber.
Glauben Sie es mir: Wenn Gott einem Menschen solche Gnaden erweist wie Ihnen, so will er auch, daß der Begnadigte große Werke vollbringe; und Ihre Gnaden sind sehr erhaben. Gesetzt nun den Fall, Ihr Bruder verfiele auf der Reise nach Sevilla dem Tode, dann würden Sie, ich versichere Sie, ganz gewiß, Ihrer Gemütsart zufolge, untröstlich sein, und Gott könnte Sie vielleicht dafür strafen. Darum müssen wir wohl achthaben, daß wir uns nicht in einer Sache täuschen, deren Folgen nicht mehr gutgemacht werden können. Wenn Sie, wie Sie es schuldig sind, die Sache vor Gott überlegen, so werden Sie finden, daß Sie durch die Unterstützung, die Sie Ihrem Bruder zukommen lassen, nicht ärmer werden; Seine Majestät wird Ihnen dies wieder in anderer Weise vergelten.
Sie gaben ihm zweihundert Realen, um sich kleiden zu können; dazu hatte er auch bei Ihnen Kost, und außerdem ist ihm in Ihrem Hause noch so manches zugute gekommen. Wenn auch dies scheinbar nicht viel ausmacht, so belaufen sich doch die Ausgaben hierfür weit höher, als Sie denken. Von dem, was Sie ihm gegeben, kann er in diesem Jahre leben, wo er will. Würden Sie ihm außer den zweihundert Realen, die er für Bekleidung schon von Ihnen erhalten hat, noch jährlich zweihundert Realen zum Lebensunterhalt geben, so könnte er sich bei meiner Schwester, die ihn seiner Aussage gemäß eingeladen hat, oder bei Didakus Guzmán aufhalten. Letzterer gab ihm hundert Realen, die er auf diesen Reisen verbrauchen wird. Sollten Sie ihm für nächstes Jahr wiederum zweihundert Realen geben, so wird es wohl ratsam sein, ihm die ganze Summe nicht auf einmal zu verabreichen, sondern von Zeit zu Zeit an jene auszuzahlen, die für seinen Unterhalt Sorge tragen; nach meinem Dafürhalten wird er nie lange an einem Orte bleiben. Es ist dies zwar sehr zu bedauern; allein es ist dies immerhin noch das Bessere, wenn er nur nicht in Ihrem Hause bleibt.
Denken Sie dabei, Sie geben einen Teil von dem, was Sie ihm zukommen lassen, mir — und Sie würden dies gewiß tun, wenn Sie mich in Not sähen —, ich würde es geradeso ansehen, als ob Sie es mir in der Tat gäben; übrigens wünschte ich, ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen. Ich hätte, seien Sie dessen sicher, schon längst gewünscht, Ihr Bruder möchte Ihr Haus verlassen; denn die Belästigungen, die er Ihnen verursachte, und die Befürchtungen, von denen ich sprach, gingen mir bisweilen sehr zu Herzen.
Mein Brief hat keinen anderen Zweck als diesen. Die Depeschen werde ich mir von Pater Nikolaus geben lassen, wenn er mich seinem Versprechen gemäß besucht; er wird sie, wie ich glaube, von Sevilla mitbringen. Es ist eine große Freude für mich, daß der kleine Laurentius so nahe bei mir ist. Gott sei mit ihm! Ich werde trachten, von hier bald wieder fortzukommen, da meine Gesundheit hier nicht so gut ist wie anderwärts. Wenn es Gottes Wille ist, reise ich von hier nach Segovia. Pater Antonius von Jesu teilt mir mit, er werde über Ávila reisen, wenn auch nur, um Sie besuchen zu können. Pater Gracián hat Toledo wieder verlassen. An Don Franziskus meine Empfehlungen!
Heute ist der Sonntag Quasimodo.
Euerer Ehrwürden unwürdige Dienerin
Theresia von Jesu
